Findet in der EU derzeit eine Neuorientierung in Sachen Energieversorgung statt? Zwischen Januar und April dieses Jahres reduzierten die EU-Länder ihre Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) im Vergleich zum Vorjahr um etwa acht Prozent auf 40,8 Milliarden Kubikmeter, wie aus den Statistiken von Gas Infrastructure Europe (GIE), einer Vereinigung europäischer Gasspeicherbetreiber, hervorgeht. Dennoch zeigt sich, laut einem Bericht der Berliner Zeitung vom Montag, dass die Lieferungen von LNG sowohl aus den USA als auch aus Russland nach Europa in diesem Zeitraum angestiegen sind.
Nordamerikanische Unternehmen, vor allem Cheniere Energy, verzeichneten in den Jahren 2022/23 hohe Gewinnsteigerungen. Auffallend ist jedoch, dass die Importe von russischem Pipeline-Gas in die EU im ersten Quartal 2024 erstmals seit 2022 wieder deutlich zugenommen haben. Diese Entwicklung ist bemerkenswert, bedenkt man, dass der Anteil von russischem Pipeline-Gas an den gesamten EU-Importen seit der politischen Abkehr Brüssels und insbesondere Berlins im März 2022 von ehemals bis zu 50 Prozent auf zuletzt knapp 15 Prozent gefallen war.
Es scheint, als ob jetzt eine leichte Trendwende einsetzt: In den ersten drei Monaten dieses Jahres importierten die EU-Mitgliedsstaaten über Pipelines 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas, was einem Anstieg von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Allein im März wurden mit 14 Milliarden Kubikmetern so viel Gas wie seit 2022 nicht mehr in die EU geliefert, wobei Russland maßgeblich zu diesem Anstieg beitrug. Das Land konnte im ersten Quartal 2024 mit 7,2 Milliarden Kubikmetern um 23 Prozent mehr Erdgas über Pipelines in die EU verkaufen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, wie aus dem neuesten Bericht des Gas Exporting Countries Forum (GECF) hervorgeht.
In dieser Statistik ist das Nicht-EU-Land Serbien, ein weiterer großer Kunde Russlands, noch nicht berücksichtigt. Die Hauptlieferanten der EU im März waren Norwegen mit 57 Prozent, gefolgt von Russland mit 18 Prozent und Algerien mit 17 Prozent. Im Vorjahr hatte Algerien noch den zweiten Platz als EU-Lieferant von Pipeline-Gas inne, während Russland nur den dritten Platz belegte. Der russische Staatskonzern Gazprom gab an, täglich 42,1 Millionen Kubikmeter Gas über einen von Russland unkontrollierten Grenzpunkt in der Westukraine nach Europa zu liefern.
In den ersten drei Monaten des Jahres gelangten auf diese Weise bis zu 3,8 Milliarden Kubikmeter russisches Pipeline-Gas nach Ungarn, Österreich, der Slowakei und Serbien. Ohne Serbien waren etwa drei Milliarden Kubikmeter speziell für die EU bestimmt. Ob sich dieser Trend fortsetzt, wird wohl stark vom Preis für LNG beeinflusst. Sollte die Weltkonjunktur anziehen, könnte LNG noch teurer werden und die EU könnte sich noch stärker auf das kostengünstigere russische Erdgas verlassen.
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