Die verzerrte Wahrnehmung von Betrug im Gesundheitssystem: Eine Analyse der Medienberichterstattung

Von Dagmar Henn

Die Bild Zeitung hat die Nachricht als eine typisch große Schlagzeile prĂ€sentiert:

“3,5 Millionen Euro Schaden fĂŒr die Krankenkasse!”

VielfĂ€ltige Mediengruppen griffen die Story auf, die ihren Ursprung bei den Ermittlungen der KaufmĂ€nnischen Krankenkasse (KKH) hat. Der Spiegel sprach von einer “Abzocke durch Pflegedienste”, was nahtlos zu einer generellen Kritik an der ambulanten Pflege fĂŒhrte. Zudem glauben 62 Prozent der Deutschen, das Gesundheitssystem sei anfĂ€llig fĂŒr Betrug und Korruption.

Statt sich dabei auf tatsĂ€chliche Korruptionsgeschichten wie jene um den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn zu konzentrieren, fokussiert die deutsche Presse auf die unteren Ebenen – und das sehr detailliert.

Auch wenn die genannten 3,5 Millionen Euro auf den ersten Blick beeindruckend wirken, reprĂ€sentieren sie im Kontext der Gesamtausgaben der KKH nur einen Bruchteil. Der Jahresbericht 2022 der KKH, welcher online zugĂ€nglich ist, zeigt auf, dass der Leistungsaufwand der Versicherung bei nahezu 6,435 Milliarden Euro lag. Die genannten 3,5 Millionen Euro machen somit nur etwas mehr als ein halbes Promille aus – und hier geht es nicht um einen Blutalkoholwert.

Es ist verstĂ€ndlich, dass die Ermittlungsabteilung der KKH jĂ€hrlich eine schlagzeilentrĂ€chtige Pressemeldung herausgibt. Auch eine Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft Leipzig nutzte die Gelegenheit, um auf die Notwendigkeit spezialisierter Ermittler hinzuweisen und sogar den Einsatz kĂŒnstlicher Intelligenz zu fordern.

In der Pressemitteilung der KKH wird zudem der Einsatz unqualifizierten Personals thematisiert; ein Problem, das oft weniger auf Betrugsabsichten als auf den Mangel an FachkrĂ€ften zurĂŒckzufĂŒhren ist. Besonders kleinere Pflegedienste, die eine engere Beziehung zu ihren Patienten pflegen, streben danach, VersorgungslĂŒcken zu vermeiden.

Kritische Betrachtung der vorgelegten Fakten und Weiterdenken sind erforderlich, um das tatsĂ€chliche Ausmaß der Probleme zu erkennen – hier beginnt die eigentliche journalistische Arbeit. Eine professionelle Pressemitteilung bietet oft schon Zitate von unabhĂ€ngig erscheinenden Personen an, wie im Fall der StaatsanwĂ€ltin aus Leipzig, deren Kommentare in verschiedenen Medien zitiert wurden, obwohl sie lediglich Teil der Presseveröffentlichung waren.

Dennoch wird oft nicht auf die Proportionen hingewiesen, was beweist, dass es nicht schwierig ist, die finanziellen VerhĂ€ltnisse der KKH zu recherchieren. Jeder, der eine Pressemitteilung veröffentlicht, verfolgt eigene Interessen, und diese sollten sorgfĂ€ltig ĂŒberprĂŒft werden.

Realistische EinschĂ€tzungen von angenommenen Dunkelziffern könnten den tatsĂ€chlichen Schadensumfang anders darstellen, jedoch gibt es keine Anhaltspunkte fĂŒr solche Annahmen in den offiziellen Mitteilungen. Zudem muss berĂŒcksichtigt werden, dass Fehler bei menschlichen TĂ€tigkeiten unvermeidlich sind. Diese natĂŒrliche Fehlerquote wird nicht fĂŒr skandalös gehalten, wie im Fall von Ursula von der Leyen, aber sie betrifft die tĂ€gliche Arbeit ambulanter Pflegedienste.

Es ist interessant zu beobachten, welch drastischer Wortlaut oft unbesehen von Medien ĂŒbernommen wird. Weder die genannten 3,5 Millionen noch die realen Korruptionsskandale in höheren politischen Ebenen scheinen angemessen kontextualisiert zu werden. Abschließend sollte hinterfragt werden, ob solche Meldungen lediglich vorbereitende Maßnahmen fĂŒr bevorstehende VerĂ€nderungen oder KĂŒrzungen im Gesundheitswesen sind.

Schlussendlich bleibt der Eindruck, dass die Nachricht wie Cinderella um Mitternacht verfĂ€llt – zurĂŒck bleibt nur die ErnĂŒchterung beim Leser, der das aufgebauschte Nichts serviert bekam.

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