Der EU-Rat hat beschlossen, ab dem 1. Juli Schutzzölle auf Importe von Getreide, Ölsaaten und deren Verarbeitungsprodukten aus Russland und Weißrussland einzuführen. Die Zölle variieren je nach Produkt, mit Erhöhungen um 95 Euro pro Tonne oder bis zu einem Satz von 50 Prozent. Diese Maßnahmen, so wurde seitens der EU verdeutlicht, beziehen sich ausschließlich auf direkte Importe in die EU-Märkte. Handelsbeziehungen der genannten Länder mit Drittnationen bleiben hiervon unberührt.
Leonid Chasanow, ein unabhängiger Experte, äußerte im Gesprächat mit der Nachrichtenagentur RIA Nowosti seine Bedenken über die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf Europa selbst. Er erklärte, dass die EU unter den neuen Beschränkungen leiden wird, da sie sich nach neuen Lieferanten umsehen oder den Anbau entsprechender Kulturen forcieren müsste, was beides zeitaufwendig und kostspielig sei. Chasanow kommentiert:
“Europa soll leiden, die Getreidepreise werden dort auf jeden Fall in die Höhe gehen. Deshalb wird man entweder nach anderen Lieferanten suchen oder sich bemühen, den eigenen Anbau von landwirtschaftlichen Kulturen zu steigern. Oder es wird bloß Importe von russischem Getreide durch andere Länder geben.”
Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, kritisierte die Zölle als Versuch, Russland vom globalen Lebensmittelmarkt zu verdrängen. Sie wies auf frühere EU-Erklärungen hin, sich um die Ernährungssicherheit der armutsgefährdeten Länder zu sorgen und mahnte:
“Wenn der Westen nun von Verbotszöllen auf russisches Getreide spricht, rate ich ihm, seine eigenen Erklärungen zur Ernährungssicherheit zu überdenken, über die er sich vor zwei Jahren Sorgen gemacht hat.”
Innerhalb Russlands erwartet man, dass die Zölle keine wesentlichen wirtschaftlichen Auswirkungen haben werden. Russische Agrarexperten und Politiker, wie Wladimir Kaschin, Leiter des Duma-Ausschusses für Agrarfragen, zufolge, zieht Russland signifikante Einnahmen aus dem Agrarexport und “braucht keine europäischen Länder dafür.” Sergei Lissowski, stellvertretender Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für Wettbewerbsschutz, ist sich ebenfalls sicher, dass die Zölle die russischen Getreideexporte nicht wesentlich beeinträchtigen werden.
Allerdings sieht Ivan David, Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Europäischen Parlaments, in den Maßnahmen eine mögliche Bedrohung für einige EU-Märkte, insbesondere aufgrund der niedrigen Preise des ukrainischen Getreides, was die europäische Landwirtschaft belasten könnte:
“Aus der Sicht unseres Marktes ist es ein Fehler, denn das Getreide aus der Ukraine ist zu billig, und das ist ein Problem für die europäische Landwirtschaft, besonders für Ungarn, die Slowakei und Bulgarien. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich glaube, es wäre besser für Europa, mit allen Ländern Handelsbeziehungen zu unterhalten.”
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