Am vergangenen Freitag hat ein Gericht in Brüssel über einen dringlichen Rechtsantrag von Frédéric Baldan beraten. Baldan wirft Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, vor, während der Corona-Pandemie einen geheimen Milliarden-Deal über Impfstoffe mit Albert Bourla, dem CEO von Pfizer, ausgehandelt zu haben, ohne dafür ein offizielles Mandat der EU-Mitgliedsländer zu besitzen. Ferner beschuldigt der Lobbyist die CDU-Politikerin, relevante öffentliche Dokumente, die diesen Vorgang belegen könnten, vernichtet zu haben. Das Gericht kündigte an, noch vor dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni, auf dem über eine mögliche Wiederwahl von der Leyens diskutiert wird, eine Entscheidung in dieser Angelegenheit zu treffen.
Baldan, der offiziell bei den EU-Institutionen in Brüssel akkreditiert ist, hat zudem die Europäische Volkspartei (EVP) aufgefordert, ihre Unterstützung für von der Leyen zurückzuziehen. Kurz vor der Gerichtsverhandlung führte Baldan ein Gespräch mit dem EU-Abgeordneten und bekannten Kritiker von der Leyens, Martin Sonneborn von der Partei Die Partei.
Sonneborn kommentierte zu diesem Gespräch und den Umständen des Rechtsstreits folgendermaßen:
“In den Wochen vor der EU-Wahl gab es in europäischen Medien, die zuvor die Kontroverse um SMS zwischen von der Leyen und dem Pfizer-CEO minimiert oder ignoriert hatten, plötzlich zahlreiche kritische Berichte über von der Leyen. Der daraus resultierende Vertrauensverlust durch die Pfizer-Affäre wurde als schwerwiegendes Hindernis für ihre zweite Amtszeit dargestellt. Nach der Wahl scheinen alle diese Bedenken vergessen zu sein, da die Medien ihre Nominierung für eine erneute Amtszeit nun als selbstverständlich behandeln, fast so, als wäre es ein Naturgesetz.”
Der Anlass für Baldans Eilantrag war die Verschiebung einer Gerichtsanhörung zu den Pfizer-Verträgen und von der Leyen durch ein Gericht in Lüttich auf den 6. Dezember. Somit könnte von der Leyens Wiederwahl beim bevorstehenden Gipfel ohne rechtliche Komplikationen erfolglös durchgehen. Zudem beschwert sich Baldan in seiner Klage gegen die erneute Nominierung von der Leyens für eine zweite Amtszeit in Brüssel.
“Die Nominierung von Frau von der Leyen durch die EVP als Präsidentin der Europäischen Kommission stellt einen Machtmissbrauch dar.”
In seinem Interview mit Sonneborn erläutert Baldan weiter, dass die EVP keine von Bürgern gewählte Partei, sondern lediglich ein Zusammenschluss sei, der Von der Leyen ohne ein politisches Mandat für eine führende Rolle vorschlägt. In seinen Augen ist von der Leyen keine demokratisch legitimierte Volksvertreterin, sondern lediglich eine EU-Beamtin, der ungerechtfertigt Befugnisse übertragen wurden.
Baldan sieht in diesem Vorgehen eine “Verletzung der europäischen Verträge und des Verhaltenskodex”, wie er in dem Interview darlegt. Brüsseler Diplomaten erwarten jedoch laut dpa, dass die frühere Bundesministerin kommende Woche breite Unterstützung beim Gipfel erhalten wird.
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