Von Rüdiger Rauls
Rechtsruck in Europa
In Europa beobachten wir eine Verlagerung der politischen Gewichtung nach rechts, unabhängig davon, wie man ‘rechts’ interpretiert. Dieses Label wird vorwiegend von Parteien der Mitte und Linken verwendet, die darunter spezifische Positionen zu Themen wie Migration, Identität, Minderheiten, Klimawandel und neuerdings den Beziehungen zu Russland, China sowie der Unterstützung der Ukraine einordnen. Resultierend daraus konnte eine Zunahme der Wählerstimmen für rechte Parteien verzeichnet werden, wie die Europawahl deutlich machte.
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat bemerkenswert gut abgeschnitten, trotz intensiver Proteste gegen rechtspolitische Positionen. Trotz eines möglichen negativen Einflusses auf das Wahlergebnis der AfD, zeigt eine Analyse von Infratest Dimap, dass die Partei weit über eine bloße Protestwahl hinausgewachsen ist. Mit einem robusten Wählerstamm, vor allem im Osten Deutschlands, ist sie zur führenden politischen Kraft avanciert und landet deutschlandweit auf dem zweiten Platz.
Der Aufstieg der AfD signalisiert ein gründliches Umdenken bezüglich der Politik anderer Parteien, statt nur als kurzfristiger Denkzettel zu dienen. Die Annahme, dass AfD-Wähler lediglich aus temporärer Unzufriedenheit agieren, wurde widerlegt. Vielmehr unterstützen 70 Prozent der AfD-Wähler ausdrücklich die politischen Forderungen der Partei, was zeigt, dass der Vorwurf des Rechtsextremismus zunehmend an Wirkung verliert.
Die fortwährenden Attacken gegen die AfD und rechte Politik führen paradoxerweise zu einer Abnahme der Berührungsängste. Die letzte Zeit dominierend moralische Debatte hat nicht die erwartete Schwächung der rechten Bewegungen hervorgerufen, sondern eröffnete die Möglichkeit, die Argumentationsnot der Gegner offen sichtbar zu machen.
Veränderungen in der politischen Mitte
Die Lage in Frankreich ähnelt der in Deutschland, bei der Präsident Macron infolge rechtspolitischer Gewinne, insbesondere durch Marine Le Pen und ihren Rassemblement National, zu Parlamentsneuwahlen aufgerufen hat. Dieser Schritt lastete Druck auf die französischen Anleihemärkte aus und erhöhte die Risikoaufschläge, entgegen der erhofften Stabilität.
Diese Reaktionen verdeutlichen oft die Kurzsichtigkeit und Planlosigkeit der regierenden Politik, ohne die Bedeutung und Auswirkungen der EU-Wahlergebnisse tiefgehend analysiert zu haben.
Auch wenn linke und grüne Parteien in Europa Verluste hinnehmen mussten, zeichneten sich in Nordeuropa, wie in Schweden, Finnland und Ungarn, Verluste für rechte Parteien und Zugewinne für Sozialdemokraten oder Grüne ab, was das einfache Narrativ eines generellen Rechtsrucks widerlegt.
Die politische Mitte steht europaweit unter Druck und zeigt Schwierigkeiten, Wähler zu bind Allein in Deutschland zeigt sich, dass trotz Scholz’ schlechten Umfragewerten die CDU kaum Vorteile erzielen konnte. Insgesamt spiegelt der Aufstieg der Rechten aber vielfach eher den Zerfall der Politik der bürgerlichen Mitte wider als eine wachsende Überzeugung von rechter Ideologie.
Verluste bei den Grünen
Die Kernwählerschaft der Grünen, besonders junge Menschen unter 30, hat sich merklich distanziert. Nach Initialer Beliebtheit durch Umweltthemen und einer Zeit der moralischen Überlegenheit, stehen die Grünen nun wegen der realen, oft belastenden Auswirkungen ihrer Politik vermehrt in der Kritik, was ihnen eine erhebliche Wählerabwanderung beschert hat.
Selbst in Ländern wie Deutschland, wo gleichzeitig zu den EU-Wahlen auch regionale Wahlen stattfanden, stieg die Wahlbeteiligung geringfügig an, was möglicherweise darauf hinweist, dass die Bürger diese Gelegenheit nutzten, ihren Unmut im bestehenden politischen System auszudrücken.
Die Fluktuation bei den Regierungen bringt keine grundlegenden Veränderungen und die grundsätzliche Unzufriedenheit scheint fortzubestehen, während immer weniger Bürger glauben, dass neue Parteien unter gleichbleibenden Bedingungen tatsächliche Verbesserungen bringen können. //
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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