Von Tom J. Wellbrock
Deutschland, vor allem Hamburg, hat immer einen besonderen Platz in meinem Herzen. In Altona aufgewachsen, am Hafen und der Alster spielend, umgeben von unzähligen Kindheitserinnerungen – über 50 Jahre Lebenserfahrung, verpackt in gedanklichen Umzugskartons. Trotz meiner tiefen Wurzeln fühlte ich mich niemals als Plattdeutsch sprechender „Fischkopf“, eine Eigenart, die selbst meine Geschwister nicht überzeugend praktizieren konnten.
Die Pandemie brachte eine Unvorhersehbarkeit in unser Leben, die meine Frau und mich dazu brachte, leise und fast entschuldigend einander zu fragen: “Und wenn wir Deutschland verlassen?” Diese Idee, anfänglich noch zögerlich, gewann an Gestalt durch den Ausbruch des Ukraine-Krieges. Unsere Gedankenspiele führten uns von Mexiko bis Russland; besonders letzteres zog mich nach einem tief bewegenden Besuch 2022 endgültig in seinen Bann.
Ein letzter Versuch, uns in Europa in Ungarn niederzulassen, scheiterte, und so entschieden wir uns, im April 2024 nach Russland zu ziehen.
Ankommen in Russland
Die ersten Tage in Russland waren eine Herausforderung. Schon bald wurden wir Opfer eines Betrugs – eine harte Lektion in einem uns fremden Land. Doch wir nahmen die neue Sprache mit Freude an, und jeder kleine Lernerfolg, der in natürlich wirkenden Sätzen mündete, wurde von den Einheimischen mit Begeisterung gefeiert. Besonders die Kontakte zu den freundlichen Kassiererinnen, die unsere Bemühungen lobten, erwiesen sich als tägliche Motivation.
Eine Polizeikontrolle, bei der ich meinen Fahrzeugschein vergessen hatte, endete glücklicherweise unproblematisch, auch dank des Verständnisses der Polizisten vor Ort.
Gedanken über Leben und Tod
Der Gedanke an den Tod erschien mir, nun Mitte 50, gelegentlich, und die Diskussionen mit meiner Frau über zukünftige Wünsche führten uns zu dem Entschluss, dass eine Bestattung in Russland, in einem der blumenreichen, gepflegten Friedhöfe, eine würdevolle Alternative darstellen könnte.
Mit jeder weiteren Stunde in Russland verblassen die Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland. Die politischen Entwicklungen dort, gekennzeichnet durch den Marsch in eine kennzeichnende Bedeutungslosigkeit und einen zunehmenden Totalitarismus, lösen in uns Trauer und Wut aus. Enttäuscht von den politisch Verantwortlichen und besorgt um das Leid der Bevölkerung, sehen wir unsere Zukunft nun hier, fernab unserer alten Heimat.
Die westliche Aggressivität und die ständigen Kriegsvorbereitungen lassen uns über unsere eigene Sterblichkeit in einem möglicherweise angegriffenen Land nachdenken. Doch über all diesen düsteren Gedanken hinaus fühlen wir uns in Russland auf der richtigen Seite der Geschichte – sicher und entschlossen, unseren Standpunkt zu behaupten und zu verteidigen.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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