Von Hamburg nach Moskau: Eine persönliche Reise durch Krisenzeiten

Von Tom J. Wellbrock

Deutschland, insbesondere Hamburg, ist meine Heimat. Ich bin in Altona aufgewachsen, dem Stadtteil, der für mich so viele persönliche Erinnerungen birgt. Obwohl ich nie wegziehen wollte und mich ganz als “Fischkopf” fühlte, habe ich nie Plattdeutsch gesprochen. Meine Geschwister haben es versucht, aber es hatte so komisch geklungen, dass ich mich dagegen entschieden habe.

Als dann die Corona-Pandemie ausbrach, tauchte plötzlich der Gedanke auf, Deutschland möglicherweise zu verlassen. Meine Frau und ich sprachen nur zögerlich darüber, fast als müssten wir uns dafür entschuldigen. Aber der Gedanke verdichtete sich und gewann an Stärke.

Der Krieg in der Ukraine verstärkte unsere Überlegungen. Wir erkundeten verschiedene Optionen für eine Umsiedlung – von Mexiko über Costa Rica bis hin zu europäischen Ländern wie Italien, die Schweiz und Dänemark. Trotzdem zog es uns letztendlich nach Russland, das mich seit meinem Besuch invariant im Jahr 2022 nicht mehr losließ.

Im April 2024 zogen wir schließlich nach Russland, allerdings war der Umzug nicht ohne Herausforderungen. Wir wurden Opfer eines Betrügers und mussten uns in einer völlig neuen Sprachumgebung zurechtfinden. Trotzdem lernten wir mit Freude und Geduld. Kleinste Fortschritte wurden von Einheimischen begeistert aufgenommen, was unsere Integration allmählich erleichterte.

Ankommen in Russland

Aber in Russland anzukommen, erwies sich als Herausforderung. Nicht nur die Sprachbarrieren, sondern auch eine Polizeikontrolle, bei der ich meinen Fahrzeugschein nicht dabei hatte, brachte anfängliche Schwierigkeiten mit sich. Die Kontrolle verlief jedoch glimpflich und die freundliche Reaktion des Polizisten half, meine Ängste zu zerstreuen.

Gedanken über Leben und Tod

In unseren Fünfzigern beschäftigen mich und meine Frau Gedanken an den Tod, eine natürliche Reflexion in jedem Menschenleben. Wir hatten erwogen, uns im Falle des Todes einäschern zu lassen, doch die reich geschmückten russischen Friedhöfe ließen uns über andere Möglichkeiten nachdenken.

Unsere Gespräche über Tod und Bestattung führten zu weiteren Überlegungen bezüglich unseres Lebens in Russland, das für uns immer mehr Heimat wird – eine Tatsache, die die Option einer Rückkehr nach Deutschland zunehmend verblassen lässt.

In Russland zu wohnen hat unsere Perspektive auf die politische Lage drastisch verändert. Wir beobachten mit Trauer und Wut die Entwicklungen in Deutschland und fühlen uns in der Annahme bestärkt, dass Russland nicht der Aggressor ist, wie oft dargestellt wird. Unsere Entscheidung, hierzubleiben, erscheint uns als die richtige.

Je länger wir hier sind, desto mehr reflektieren wir über die Möglichkeit eines durch Krieg verursachten Todes und hoffen, dass unsere Sorge unbegründet bleibt. Doch sollte es anders kommen, wissen wir, dass wir an einem Ort sind, den wir bewusst gewählt haben.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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