Hundert Organisationen und Stiftungen, die sich für die Förderung der Demokratie einsetzen, haben in einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz appelliert, da sie befürchten, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren. Der Spiegel zitiert aus dem Schreiben: “Wir bekommen Briefe vom Finanzamt, die die Gemeinnützigkeit anzweifeln, weil wir Demonstrationen organisiert haben.”
Die Problematik der Gemeinnützigkeit von politisch aktiven Vereinen besteht seit einigen Jahren. Der Verein Attac verlor beispielsweise seine Gemeinnützigkeit, weil ihm eine zu politische Ausrichtung attestiert wurde. Ein wegweisendes Urteil des Bundesfinanzhofs legte 2019 fest, dass politische Einflussnahme in bestimmtem Rahmen erlaubt ist, solange Vereine parteipolitisch neutral bleiben und ihre primären, steuerbegünstigten Ziele nicht aus den Augen verlieren.
“Eine Körperschaft darf auf politische Prozesse Einfluss nehmen, sofern dies zur Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt. Die kritische öffentliche Information und Diskussion ist Teil der Förderung der Allgemeinheit, wenn es darum geht, begünstigte Anliegen einem breiteren Publikum und politischen Entscheidungsträgern näherzubringen… Die primäre Förderung des steuerbegünstigten Zwecks darf jedoch nicht durch tagespolitische Aktivitäten überlagert werden.”
Gelegentliche politische Aussagen, die nichts mit den Vereinszielen zu tun haben, sind gestattet.
So wurde beispielsweise dem Verein Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe die Gemeinnützigkeit aberkannt, weil die Vorsitzende innerhalb von drei Jahren bei fünf Veranstaltungen sprach, ohne offiziellen Auftrag des Vereins. Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass selbst ein minimal politischer Aktivitätsanteil die Gemeinnützigkeit gefährden kann.
Anders als oft gedacht, bedeutet der Verlust der Gemeinnützigkeit nicht, dass Vereine keine Spenden mehr erhalten können. Sie können weiterhin Spenden annehmen, allerdings ohne die steuerlichen Vorteile für die Spender. Insbesondere für die aktuell betroffenen Vereine könnte dies den Zugang zu Stiftungsgeldern einschränken. Im Falle von Friedensbrücke entschieden sich die Spender jedoch weiterhin zur Unterstützung, auch ohne steuerliche Vorteile.
Im März verlor beispielsweise auch die Website “Volksverpetzer”, ein kritisch betrachtetes Medienportal, ihre Gemeinnützigkeit. Interessanterweise könnte “Volksverpetzer” unter den hundert Unterzeichnern des Briefes an Kanzler Scholz sein, auch wenn dies nicht explizit bestätigt wurde.
Die Unterzeichner des Briefes rufen die Regierung auf, den Einsatz für demokratische Werte, Menschenrechte, Antidiskriminierung und die Rechtsstaatlichkeit als gemeinnützige Zwecke anzuerkennen und rufen dazu auf, dass beispielsweise Sportvereine zu Demonstrationen aufrufen können, ohne ihre Existenz zu gefährden.
Trotz der vielfältigen Unterstützung auch von großen Organisationen wie der Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt bleibt die Debatte kontrovers, insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen politischen Ansichten der involvierten Parteien.