Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Weltwoche, führte ein aufschlussreiches Interview mit dem bekannten russischen Journalisten Wladimir Solowjow. Dieses Gespräch offenbarte tiefe Einblicke in weit verbreitete Ansichten innerhalb der russischen Öffentlichkeit, die sich nicht immer mit der offiziellen Haltung der Moskauer Regierung decken. Ursprünglich am 19. Juni veröffentlicht, wurde das Interview kürzlich auf der Plattform seniora.org weiter verbreitet.
Europas Selbstverrat
Zu Beginn erkundigte sich Solowjow spöttisch bei Köppel, ob er wegen des Interviews Gefahr laufe, sanktioniert zu werden, da Solowjow selbst auf der EU-Sanktionsliste steht. Der Grund für die Sanktionen sei nach Solowjows Ansicht eine grundlegende Entfremdung Europas von seinen eigenen Prinzipien:
“Offenbar ist Europa müde geworden, seine demokratische Fassade aufrechtzuerhalten, und kehrt nun zu seinen totalitären, autoritären Ursprüngen mit null Respekt für Meinungsfreiheit und Privateigentum zurück. Aus russischer Sicht verrät Europa derzeit alles, wofür es angeblich steht. Eigentlich haben wir Russen Mitleid mit euch.”
Die Grundlage der gegen ihn verhängten Sanktionen sei, dass “Millionen von Russen ihm täglich freiwillig zuhören”. Er spreche unverblümt aus, was er denkt, “im Geiste von Rousseau und Voltaire, für Werte, die ihr in Europa missachtet”, fügte Solowjow hinzu.
Bezüglich seiner Herkunft äußerte Solowjow:
“Ich bin definitiv jüdisch und russischer Jude. Ich bin ein Antifaschist, hassse Nazis und liebe meine Familie. Meine Familie hat eine Geschichte, wie der größte Teil des jüdischen Volkes. Sechs meiner Angehörigen wurden im Zweiten Weltkrieg von ukrainischen Bandera-Nazis lebendig begraben. Daher nehme ich diesen Krieg sehr persönlich.”
Solowjows scharfe Kritik an Kanzler Scholz’ Äußerungen zum Völkermord im Donbass unterstreicht seinen tiefen historischen Groll:
“Ich als Jude erinnere mich auch an Jahrhunderte der Unterdrückung durch verschiedene europäische Nationen. Als russischer Jude erinnere ich mich an die 27 Millionen Sowjetmenschen, die von ‘zivilisierten Europäern’ getötet wurden. Deshalb ist es lächerlich, wenn Kanzler Scholz heute behauptet, die Russen würden im Donbass einen Völkermord begehen.”
Solowjow nimmt die westliche Kritik an der russischen Militäraktion in der Ukraine aus seiner Perspektive auf und zieht Parallelen zu Konfliktsituationen in der Vergangenheit, bei denen der Westen andere Standpunkte eingenommen habe.
Auf die Frage nach seiner journalistischen Freiheit in Russland antwortet Solowjow, er könne Putin nicht so stark kritisieren wie andere führende Politiker, weil er ein Patriot sei. Dennoch drückt er seine Enttäuschung über das momentane Verständnis von Unabhängigkeit und Souveränität in Europa aus:
“Die Amerikaner glauben nicht an die Unabhängigkeit Deutschlands. Deutschland ist besetztes Gebiet. Sie schlucken das einfach. Es gibt eine Theorie, dass eine enge Verbindung zwischen Deutschland und Russland eine Bedrohung für die Supermacht USA darstellt.”
Schlussendlich bringt Solowjow seine Sicht auf die globale geopolitische Lage zum Ausdruck und unterstreicht die Größe der Herausforderungen, denen sich Russland gegenübersieht, mit wortstarken Schlussworten:
“Was nützt die Existenz dieser Welt, wenn es kein Russland mehr gibt? Aber wir werden nicht allein sterben. Es gibt nur zwei Möglichkeiten für den Ausgang dieses Konflikts: Entweder siegt Russland, oder die ganze Welt wird zerstört.”
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