Von Armin Schmitt
Heute finden im Iran außerplanmäßige Präsidentenwahlen statt, ausgelöst durch den tragischen Hubschrauberabsturz von Präsident Ebrahim Raisi im Mai. Ursprünglich waren diese Wahlen erst für das Jahr 2025 vorgesehen.
In den aktuellen Umfragen führt der liberale Kandidat, der frühere Gesundheitsminister Massud Peseschkian, der als Herzchirurg ausgebildet wurde. Peseschkian wird dem reformorientierten und prowestlichen Spektrum zugeordnet. Seine Hauptkonkurrenten sind Mohammad Bagher Ghalibaf, der Sprecher des Parlaments, und Said Dschalili, ein ehemaliger Chefverhandler in den Atomgesprächen, beide aus dem konservativ-nationalistischen Lager der Prinzipalisten.
Dschalili gilt als Vertrauter des Führers der iranischen Revolution, Ali Chamenei, und vertritt nationalistisch-konservative Ansichten. Ghalibaf, ehemaliger Bürgermeister von Teheran und vormals Kommandeur der Luftwaffe der Revolutionsgarde, zeigt sich als pragmatischer Konservativer. Da keiner der beiden seine Kandidatur zugunsten des anderen zurückgezogen hat, ist es wahrscheinlich, dass eine Entscheidung erst in einer Stichwahl am 5. Juli fallen wird.
Peseschkian setzt sich für eine Annäherung an den Westen ein und plädiert für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zum Atomabkommen von 2015, um westliche Sanktionen aufheben zu lassen. Er sieht darin einen entscheidenden Faktor zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im Iran. Weiterhin befürwortet er die Einhaltung der Richtlinien der internationalen Finanzaktionsgruppe zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung, Maßnahmen, die von den Konservativen als Einschränkung der iranischen Unterstützung für den regionalen “Widerstand” angesehen werden.
Dschalili hingegen befürwortet eine “Widerstandsökonomie”, die auf das Umgehen oder Neutralisieren westlicher Sanktionen durch eine nationalistische Wirtschaftspolitik zielt. Ghalibaf strebt ebenfalls Verhandlungen mit dem Westen an, kritisiert jedoch scharf den Atomdeal von 2015, aus dem sich die USA 2018 unter Präsident Donald Trump zurückgezogen haben, und plädiert wie Dschalili für verstärkte Beziehungen zu Russland und China.
Anzeichen, dass Teheran von der von Raisi geförderten ostorientierten Außenpolitik abweicht, die den Handel mit Asien und den Umgang mit nicht-westlichen Währungen forcierte, sind derzeit nicht erkennbar. Zu den Errungenschaften Raisis gehören unter anderem die von Peking vermittelte Aussöhnung zwischen Iran und Saudi-Arabien, die fortdauernde Unterstützung der palästinensischen Sache sowie der Beitritt Irans zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) und zu BRICS+.
Mehr zum Thema – Neue Kriegsgefahr in Nahost: Drohgebärden von Israel und Hisbollah schüren Ängste