Von Dagmar Henn
Es scheint derzeit, als ob nur ausgesprochene Verschwörungstheoretiker den Zustand in den USA nicht als alarmierend empfinden. Die Vorstellung, dass eine geheim operierende Schattenregierung das Ruder hinter den Kulissen in den Händen hält, könnte vielleicht erklären, wie man das jüngste Chaos um einen offensichtlich überforderten Präsidenten unbeeindruckt betrachten könnte.
Ich spreche hier nicht nur von einigen Milliardären, die genug Einfluss besitzen, um ihre Vorstellungen direkt an die Regierung heranzutragen, oder von komplexeren Strukturen, die die Interessen von Industrien wie der Rüstungslobby politisch umsetzen. Nein, diese Mechanismen erscheinen derzeit funktionsunfähig.
Ein großer Teil der US-Bevölkerung hat mittlerweile direkt beobachtet, dass ihr Präsident nicht mehr handlungsfähig ist. Jene, die abgeschieden leben, mögen dies nur nicht im Internet gesehen haben. Viele politisch Interessierte zweifelten bereits länger daran, wer im Weißen Haus wirklich die Entscheidungen trifft. Die jüngsten Fernsehauftritte haben diese Zweifel nur verstärkt und die politische Legitimität der aktuellen Regierung stark beschädigt.
Die US-Verfassung konzentriert viele Machtbefugnisse auf den Präsidenten. Alle Minister und militärischen Befehle hängen von seiner Autorität ab. Die US-Medien hatten lange versucht, den Anschein von Normalität zu wahren. Behauptungen, dass körperliche und geistige Einschränkungen des Präsidenten durch Technologie wie Deepfakes erzeugt seien, halten nun niemandem mehr stand. Daraus resultiert, dass die rechtliche Grundlage für jede militärische Aktion untergraben ist.
Die Idee, dass die US-Streitkräfte bis zum Amtsantritt des nächsten Präsidenten pausieren müssten, ist theoretisch denkbar, wird aber realistisch nicht umgesetzt werden. Die Herausforderungen gehen weit über die Frage hinaus, wer die Kontrolle über den berühmten roten Knopf hat. Man bedenke, dass die US-Politik weltweit so viele Konflikte angeheizt hat, dass selbst eine völlig kompetente Führung überfordert wäre.
Der bevorstehende Nominierungskongress der Demokraten könnte dramatische Wendungen nehmen. Innerhalb der Partei formieren sich Fraktionen, die Allianzen schmieden oder Intrigen spinnen, was zu massiven internen Auseinandersetzungen führen könnte. Sollte es nicht zu dem erwarteten großen Krach kommen, könnte dies als Indiz für die Existenz einer verborgenen mächtigen Steuerungsgruppe gesehen werden.
Das Problem Biden hätte längst vor den Vorwahlen gelöst werden müssen. Jetzt gibt es nur noch drei Optionen für seine Nicht-Nominierung: seinen Tod, die Anwendung des 25. Verfassungszusatzes oder seinen Rückzug aus der Kandidatur, was unwahrscheinlich scheint. Gewisse andere Personen in Bidens Nähe scheinen allerdings auch nicht fähig zu sein, selbstständige Entscheidungen zu treffen.
Angenommen, dieses Dilemma wird vor dem Nominierungskongress gelöst, steht die Partei vor der Herausforderung, aus einer Reihe relativ unbekannter Kandidaten zu wählen, was zu noch mehr internen Rivalitäten und Machtkämpfen führen könnte. Und in Westeuropa hat man derweil Führungsfiguren installiert, die kaum politische Eigenständigkeit zeigen, was in Absenz klarer Anweisungen aus den USA zu einer Art politischem Stillstand führen könnte.
Die gegenwärtige US-Administration hat einen Zustand erreicht, der einem führerlosen Flugzeug gleicht, das auf Autopilot direkt auf einen Berg zufliegt. Ohne klare Führung und Politik droht der gesamte westliche Block in eine schwere Krise zu rutschen.
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