Von Oleg Issajtschenko
Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij wies in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg Berichte zurück, laut denen die ukrainischen Streitkräfte an einer Pattsituation auf dem Schlachtfeld leiden. Selenskij betonte, dass das Militärpersonal sich in einer besseren Verfassung befinde als noch vor einigen Monaten und dass eine mögliche neue Offensive primär von der Bewaffnung abhinge.
“Dies ist kein Stillstand, sondern eine herausfordernde Situation. Ein Stillstand würde bedeuten, dass es keinen Ausweg gibt. Ein Problem jedoch kann gelöst werden, wenn der Wille und die Mittel dazu vorhanden sind. Den Willen haben wir, nur die Mittel sind bisher ausgeblieben”, erklärte Selenskij und beklagte dabei die Zurückhaltung der USA hinsichtlich der Lieferung von Waffen und Munition.
In den letzten Wochen mehren sich die Hinweise, dass sich die ukrainischen Kräfte weiterhin auf eine mögliche Gegenoffensive vorbereiten, indem sie Truppen, Technik und Treibstoff mobilisieren – mit Schwerpunkten in den Regionen um Charkow und Woltschansk oder an der Asow-Küste gegenüber Orechow.
Weiterhin haben die ukrainischen Streitkräfte seit Ende Juni ihre Angriffe auf das Atomkraftwerk Saporoschje verstärkt, was sowohl militärische als auch politische Ziele verfolgt. Als Reaktion darauf haben russische Streitkräfte ihre Angriffe auf ukrainische militärische und logistische Infrastrukturen intensiviert, inklusive Munitionslager in Charkow und Produktionsstätten in Dnjepropetrowsk.
Trotz der Friedensbekundungen Selenskijs beobachtet der Kiewer Politologe Alexei Netschajew, dass die ukrainischen Streitkräfte ihre Luftabwehrsysteme schonen, die Mobilisierung verschärfen und sich auf eine mögliche weitere “Gegenoffensive” vorbereiten, um die Verhandlungspositionen der Ukraine zu stärken. Netschajew vermutet, dass diese Offensive vor den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA und einem NATO-Gipfel in Washington im Juli starten könnte.
Experten weisen auf technische Herausforderungen für eine neue ukrainische Offensive hin, darunter die Notwendigkeit schwerer Panzertechnik und Lufthoheit, die im letzten Jahr den Gegnern trotz enormer Verluste verwehrt blieben, wie Alexei Leonkow, Chefredakteur der Zeitschrift Arsenal Otetschestwa, erinnert.
Russland hat zudem neue Verteidigungslinien in den zurückeroberten Gebieten errichtet, was weitere Schwierigkeiten für die AFU darstellt. Nach Aussage Leonkows wird es schwer sein, an einigen Frontabschnitten, wie beispielsweise entlang des Dnjepr bei Cherson, vorzudringen, da diese Abschnitte gut überwacht und verteidigt sind.
Andrei Koschkin, Experte für politische Analyse, fügt hinzu, dass die AFU vor der Herausforderung stehen, spektakuläre Angriffe durchzuführen und signifikante Erfolge zu erzielen, um Unterstützung und Ressourcen von europäischen Staaten zu erhalten. Er vermutet jedoch, dass die ukrainischen Streitkräfte die notwendige Lufthoheit nicht erringen können.
Leonkow bemerkt abschließend, dass die AFU möglicherweise ihre Luftabwehrmittel sparen, um sie in einer geplanten Offensive einzusetzen. Allerdings prognostiziert er, dass künftige Lieferungen von systemen wie dem Patriot lediglich in westlichen Regionen der Ukraine stationiert werden und nicht an die Frontlinie gelangen, wo sie riskieren, zerstört zu werden.
Übersetzt aus dem Russischen. Erstmals am 4. Juli bei Wsgljad veröffentlicht.
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