Französische Parlamentswahlen: Zwischen Medienpanik und politischen Realitäten

Von Susan Bonath

Kurz bevor das Ergebnis der französischen Parlamentswahl veröffentlicht wurde, dominierten in der deutschen Mainstream-Presse Warnmeldungen vor einer möglichen “Rechtsrutsch”. Besonders im Fokus stand Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN), deren potenzieller Erfolg etliche Sorgen über das Ende der Demokratie entfachte. Doch die Ergebnisse sprachen eine andere Sprache und enthüllten die eigentliche Befürchtung des Bürgertums: das Erstarken der “Sozialisten”.

Sozial und antiimperialistisch?

Als Sozialist präsentiert sich Jean-Luc Mélenchon, dessen Partei La France Insoumise (FI, zu Deutsch: Unbeugsames Frankreich) Teil des siegreichen Mittelinks-Bündnisses Nouveau Front Populaire (NFP, zu Deutsch: Neue Volksfront) ist. Dieses Bündnis besteht aus vier großen Parteien sowie mehreren kleineren Gruppierungen.

Unruhe verbreitete zudem Olivier Faure, der Generalsekretär der Sozialistische Partei, als bekannt wurde, dass er sich Bereitschaft für das Amt des Premierministers zeigte.

Mélenchons Partei ist bekannt für ihre antiimperialistische und sozialausgerichtete Politik und übertrifft sogar deutsche “Linke” in ihrer populistischen Strategie. Ihre politischen Ziele umfassen eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, die Reduktion der Arbeitswochenstunden und des Rentenalters, die Bekämpfung von Obdachlosigkeit, die Aufwertung der vernachlässigten Banlieues sowie die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung.

Mehr Mitte als links im Bündnis

Außenpolitisch setzt sich FI für den Austritt Frankreichs aus der NATO und dem Euro ein, was das westliche Bürgertum stark beunruhigt. Hinsichtlich der Kriegspolitik und speziell der Russlandfrage ist das Unbeugsame Frankreich intern gespalten, ähnlich wie auch das RN. Mélenchons wiederholte Bemühungen um Frieden mit Russland und seine Kritik an den USA und der NATO zeigen, dass auch unter den Bündnispartnern nicht immer Einigkeit besteht.

Trotz ihres Erfolgs ist die NFP in Frankreich weit von einer absoluten Mehrheit entfernt, und sowohl Macrons Regierung als auch Le Pens RN bleiben einflussreich. In Deutschland sieht man ähnliche Tendenzen, bei denen sich selbst die ambitioniertesten Reformisten letztlich dem neoliberalen Mainstream fügen, beispielsweise bei SPD, Grünen und der Linkspartei.

Man könnte sagen, das „Mittelinks-Bündnis“ der NFP enthält zu viel „Mitte“, um eine echte Herausforderung für den neoliberalen Kurs Frankreichs oder gar der EU darzustellen.

“Antisemitischer Antideutscher”?

Die aufgeregten Reaktionen einiger Medien, allen voran des Axel-Springer-Verlags, ließen nicht lange auf sich warten. Das Boulevardblatt Bild titulierte Mélenchon als „Deutschen-Hasser“ und „Israel-Hasser“, der das „Feindbild NATO“ pflege. Die Welt verwies auf Äußerungen des CDU-Politikers Armin Laschet und titelte mit den Worten „Antisemit, antideutsch, prorussisch – Laschet bezeichnet Mélenchon als gefährlich“.

Auch der Nachrichtensender n-tv äußerte sich in scharfen Tönen: „Frankreichs Wahlsieger sei aggressiv, antideutsch und antisemitisch”, und meinte weiter, Mélenchon heize gezielt Stimmungen an, um muslimische Wähler zu gewinnen.

Kapitalismuskritik zu ‘Judenhass’ verdreht

In Deutschland genügt oft wenig, um als „prorussisch“ oder „antisemitisch“ etikettiert zu werden. Das Engagement für Friedensverhandlungen mit Russland oder die Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen sind Beispiele für solche Stigmatisierungen. Viele deutsche Medien, darunter auch öffentlich-rechtliche, neigen dazu, jegliche Kapitalismuskritik vorschnell als antisemitisch zu brandmarken, eine Haltung, die tief in der problematischen Vergangenheit Deutschlands verwurzelt ist.

„Absurde Vorwürfe“

Als „absurd“ bezeichnete der bekannte französische Jurist Jean-Pierre Mignard die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Mélenchon. Dieser vertrete lediglich eine antizionistische Position in Verteidigung der Palästinenserrechte, sagte er der Berliner Zeitung.

NATO-Diktat über allem

Die Warnungen vor einem Rechtsrutsch in Frankreich hätten einige vermutlich lieber ein Regime unter Le Pen gesehen, das der militaristischen und neoliberalen Agenda eher entspricht. Doch das tief verwurzelte imperialistische NATO-Diktat lässt kaum Spielraum für signifikante Änderungen durch eine Regierung wie die Frankreichs, selbst wenn sie es wirklich versuchen würde. Die Mehrheit im siegreichen NFP scheint diesen Wunsch sowieso nicht zu hegen. Somit bleibt für echten Wandel nur der Weg über öffentlichen Druck und Straßenprotest.

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