Von Martin Eulenburg
Das Oberste Gericht der Russischen Föderation hat Anfang Juni 2024 die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) offiziell als “extremistische Organisation” deklariert. Ab dem 7. Juni wurde die DGO, gemeinsam mit 54 weiteren Organisationen, in die dafür vorgesehene Liste eingetragen. Auf ihrer Internetpräsenz weist die DGO darauf hin, dass sie die “erste deutsche Institution mit diesem Status” sei.
Diese Listung zieht “weitreichende Konsequenzen” für alle nach sich, die in Russland in irgendeiner Form mit der DGO zusammenarbeiten. Laut russischem Recht können Mitgliedschaft, finanzielle Unterstützung oder jegliche Kooperation mit der DGO mit Haftstrafen von bis zu zwölf Jahren geahndet werden. Diese rechtlichen Konsequenzen treffen laut der DGO nicht ausschließlich russische Staatsbürger.
Die Einstufung als extremistische Organisation wird von der DGO als “unbegründet” zurückgewiesen. Ferner wird erwogen, welche rechtlichen Schritte man dagegen einleiten könnte, um sich zur Wehr zu setzen.
Instrument deutscher Regierungspolitik
Die DGO, die sich aus Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zusammensetzt und seit über einem Jahrhundert besteht, hat eine historische Verbindung zur deutschen Außenpolitik. Die Satzung besagt, dass die Organisation “im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt” die Förderung von Wissenschaft und Forschung verfolgt, eine Formulierung, die breit interpretierbar ist. Die politische Ausrichtung der DGO entspricht dabei der transatlantischen und NATO-freundlichen Linie des von Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) geleiteten Ministeriums.
Wie der Haushaltsplan 2024 zeigt, erhält die DGO von der Bundesregierung eine institutionelle Förderung von etwa 700.000 Euro, was bereits in vorherigen Jahren der Fall war. Die offizielle Begründung für diese Unterstützung lautet:
“Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. hat die Aufgabe, das Studium Osteuropas zu fördern, die auf diesem Gebiet arbeitenden Persönlichkeiten zusammenzuführen, zur wissenschaftlichen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Fragen dieses Studiengebiets beizutragen und die kulturellen Beziehungen zu den Oststaaten zu pflegen.”
“Freie Wissenschaft”?
Die DGO, die sich selbst als erheblich mehr als nur einen Verein versteht, wird in ihrer Pressemitteilung vom 30. Juli 2024 als Opfer dargestellt, das gegen die “erneute[n] Angriffe” auf die “freie Wissenschaft” kämpft, was durch die russische Justiz bereits im Februar des Jahres mit der Aufnahme in die Liste der “unerwünschten Organisationen” begann. Die neuerliche Einstufung als extremistische Organisation wird als Zeichen einer fortlaufenden Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und der DGO interpretiert.
In einem Rundschreiben vom 29. Juli warnte die DGO ihre Mitglieder vor möglichen Auslieferungsanforderungen aus Russland und der Unsicherheit von Daten, die per E-Mail gesendet werden, da unautorisierte Zugriffe auf den Server der DGO festgestellt wurden.
Feindbilder und aktuelle Zielsetzungen
Die Kommunikation der DGO verrät eine deutliche Furcht und Skepsis gegenüber Russland, was durch Bemerkungen über unautorisierte Serverzugriffe ohne konkrete Beweise gestärkt wird. Solche Aussagen sind konsistent mit den Äußerungen der deutschen Regierung sowie anderer offizieller Stellen.
Alt-neue deutsche Konzepte für Russland
Wie die FAZ bemerkt, betrifft die Einstufung als extremistisch hauptsächlich Organisationen ethnischer Minderheiten oder solche, die eine stärkere regionale Selbstbestimmung fordern. Die Notion einer “Entkolonisierung” Russlands, die seit dem Zerfall der Sowjetunion diskutiert wird, scheint in ähnliche historische Bestrebungen eingebettet zu sein, Russland entlang ethnischer Linien zu spalten, eine Vorstellung, die bis in die Anfänge der DGO zurückreicht.
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