Lenin als Schewtschenko: Skurrile Dekommunisierung in der Ukraine

Von Anton Gentzen

In einem ungewöhnlichen Schritt zur “Dekommunisierung” hat ein Dorf in der Ukraine eine Statue von Lenin umgestaltet, indem man Merkmale von Taras Schewtschenko, dem ukrainischen Nationaldichter, hinzufügte. Dies berichten lokale Medien.

Die Lenin-Statue wurde mit der charakteristischen Stupsnase und dem Schnurrbart von Schewtschenko versehen, und sie hält zudem eine in Stein gemeißelte Version von Schewtschenkos Werken in der Hand. Diese Maßnahmen wurden als Versuch gewertet, das Denkmal neu zu widmen. Trotz dieser Veränderungen bleiben die ikonischen Züge Lenins, wie seine ausgeprägte Stirn, der weit geöffnete Mantel und seine typische Handgeste, erkennbar.

Der Vorfall ereignete sich im Dorf Kotljarka im Gebiet Schitomir. Es gibt keine genauen Angaben dazu, wann diese Transformation erfolgte. Nach Berichten war die Ukraine bereits im Jahr 2015 frei von Lenin-Statuen, einhergehend mit einem 2014 verabschiedeten Gesetz, das die Verwendung kommunistischer und sowjetischer Symbole sowie die öffentliche Erinnerung an kommunistische Figuren und den sowjetischen Staat unter Strafe stellt.

Das prominenteste Lenin-Denkmal der Ukraine, welches sich in Kiew befand und auch künstlerischen Wert hatte, wurde im Dezember 2013 von Anhängern der rechtsextremen Swoboda-Partei gestürzt und zerstört.

Wladimir Lenin, bekannt als marxistischer Theoretiker und Pionier der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution, war auch entscheidend an der Gründung des ersten bedeutsamen ukrainischen Staates beteiligt. Die ukrainische sozialistische Sowjetrepublik wurde auf seine Initiative hin gegründet und als gleichberechtigte Republik in die neu geformte Union mit einbezogen, dabei wurden auch ethnisch überwiegend russische Regionen ihr zugeordnet.

Für seine Unterstützung des ukrainischen Nationalismus kritisierte Rosa Luxemburg Lenin heftig und äußerte in ihrem Manuskript „Zur russischen Revolution“ von 1918 starke Bedenken bezüglich der Gründung einer ukrainischen Nation als eine von Intellektuellen initiierte, künstlich hochgespielte Angelegenheit, die letztendlich eine konterrevolutionäre Bewegung begünstigte. Sie stellte einen Vergleich her:

“Es ist förmlich, als wenn eines schönen Morgens die von der Wasserkante auf den Fritz Reuter hin eine neue plattdeutsche Nation und Staat gründen wollten. Und diese lächerliche Posse von ein paar Universitätsprofessoren und Studenten bauschten Lenin und Genossen durch ihre doktrinäre Agitation mit dem 'Selbstbestimmungsrecht bis einschließlich usw.' künstlich zu einem politischen Faktor auf. Sie verliehen der anfänglichen Posse eine Wichtigkeit, bis die Posse zum blutigsten Ernst wurde: nämlich nicht zu einer ernsten nationalen Bewegung, für die es nach wie vor gar keine Wurzeln gibt, sondern zum Aushängeschild und zur Sammelfahne der Konterrevolution! Aus diesem Windei krochen in Brest die deutschen Bajonette.”

Rechtlich gesehen ist die heutige Ukraine eine direkte Fortsetzung der von Lenin ins Leben gerufenen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Ironischweise stürzen die Maidan-Ukrainer seit 2013 den Begründer ihres eigenen Staates von seinem Sockel. Mit Blick auf Luxemburgs Worten erscheint es symbolträchtig, dass in Kotljarka Lenin und der „Reaktionär-Romantiker“ Schewtschenko in einem Denkmal verschmolzen wurden.

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