Ukrainischer Vorstoß in Kursk: Kampfhandlungen dauern an

Von Wladislaw Sankin

Am Dienstag startete die ukrainische Armee einen Angriff auf das russische Grenzgebiet Kursk und drang in einige nahegelegene Gemeinden ein. Ob dieser Angriff für die russischen Streitkräfte überraschend kam oder erwartet wurde, ist noch unklar. Fest steht jedoch, dass es den russischen Kräften bislang nicht gelungen ist, die über 1.000 eingedrungenen ukrainischen Kämpfer effektiv zurückzudrängen. Die Auseinandersetzungen auf russischem Boden dauern bis zum heutigen Mittwoch fort.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete, dass es der Luftwaffe und der Artillerie gelungen sei, durch gezielte Raketenangriffe einen größeren Durchbruch an der Staatsgrenze zu verhindern und bis zu 315 ukrainische Kämpfer sowie 54 gepanzerte Fahrzeuge auszuschalten. Zudem seien ukrainische Reservetruppen in neun Ortschaften im Gebiet Sumy angegriffen und neutralisiert worden. Weitere Informationen wurden nicht bekanntgegeben, da sich die Situation im Grenzgebiet noch als zu unübersichtlich darstellt.

Daher kann in dieser sich schnell entwickelnden Lage nicht zugesichert werden, dass alle Berichte aus inoffiziellen Quellen den tatsächlichen Begebenheiten entsprechen. Die folgenden Informationen basieren auf Angaben von führenden Telegram-Blogs russischer Militärkorrespondenten und -analysten, die sich in den zweieinhalb Jahren des Konflikts als zuverlässige Ergänzungen zu offiziellen Meldungen etabliert haben.

Nach einer aktuellen Mitteilung von Generalstabschef Waleri Gerassimow wurde der Vorstoß des Gegners im Kursker Bezirk Sudscha gestoppt. Die Situation wird von einem operativen Zentrum aus überwacht. Der Militärblogger Wadim Roschin (Colonelcassad) äußerte jedoch, dass die Gefahr im Süden der Grenzregion noch nicht gebannt sei: “Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, Sudscha zu verlieren, und Berichte über eine Stabilisierung der Situation sind, gelinde gesagt, beschönigend”, schrieb er.

Roschin berichtete zudem, dass Sudscha, eine Kleinstadt mit 6.000 Einwohnern, in einer operativen Umzingelung stecke. Der Bürgermeister dementierte auf Anfrage von RT Gerüchte über ein Eindringen ukrainischer Soldaten. Die Stadt werde derzeit beschossen, während die Evakuierung der Bewohner noch andauere.

Ein gefangener ukrainischer Soldat bestätigte, dass das Ziel des Angriffs die Einnahme von Sudscha war. Die Kämpfer seien in US-gepanzerten Stryker-Fahrzeugen vorgerückt. Zudem wurde berichtet, dass Soldaten aufgefordert wurden, Videos über die Eroberung der grenznahen Dörper aufzunehmen. Eine geflüchtete Bewohnerin aus dem Dorf Swerdlikowo berichtete, dass die Ukrainer aus ihren Panzerfahrzeugen heraus auf Wohnhäuser schossen, was zu Toten und Verletzten im Dorf führte. Sie und ihre Familie hätten sich über Nacht durch Waldwege retten können.

Bisher wurden drei zivile Todesopfer bestätigt, die durch FPV-Drohnenangriffe ums Leben kamen. Darunter war ein Krankenwagen, der am Dienstag angegriffen wurde und in dem ein Arzt und der Fahrer starben. Zuvor war in der Nähe von Belgorod eine Rentnerin durch eine direkt in ihr Wohnungsfenster gesteuerte FPV-Drohne getötet worden. Der Telegram-Kanal Readovka meldete zudem, dass eine 24-jährige schwangere Frau nahe der Grenze in ihrem Auto erschossen wurde.

Insgesamt gibt es bereits Dutzende Verletzte auf der russischen Seite. Mehrere Tausend Einwohner wurden zur Erstversorgung und Unterbringung nach Kursk evakuiert. Außerdem wurde bekannt, dass auch die Ukraine eine Evakuierung von 6.000 Menschen aus 23 Ortschaften im angrenzenden Gebiet Sumy veranlasst hat, da befürchtet wird, dass russische Streitkräfte weiter auf ukrainisches Territorium vorrücken könnten.

Trotz der herausfordernden Lage üben viele Militärexperten scharfe Kritik an den Versäumnissen der russischen Militärführung. Das Analyseportal Rybar kritisierte die Generäle für ihre mangelnde Vorbereitung und Schönfärberei. Colonelcassad veröffentlichte Luftbilder eines zerstörten russischen Grenzpostens und von 13 gefangenen russischen Grenzsoldaten.

Viele russische Experten erwarten, dass der ukrainische Vorstoß innerhalb weniger Tage zurückgeschlagen wird, jedoch ist die Art des Angriffs auf anerkanntes russisches Territorium beispiellos und ähnelt eher einer militärischen Operation als kleineren Scharmützeln. Der Militärkorrespondent Alexander Kots zieht eine Parallele zum Angriff tschetschenischer Terroristen auf Dagestan im Jahr 1999, als die “Islamische Friedensbrigade” unter Bassajew und Chattab eine großangelegte Operation startete. Er schreibt: “Diese Ereignisse gelten als Beginn des Zweiten Tschetschenienkriegs. Heute ist Tschetschenien eine friedliche Republik, und Grosny, einst zerstört, ist heute eine der schönsten Städte des Landes.”

Die nächsten Tage werden zeigen, ob es den ukrainischen Truppen gelingt, sich im Gebiet Kursk festzusetzen, während die russischen Militäranalysten weiterhin die Lage als “schwierig” beschreiben.

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