Von Tom J. Wellbrock
Trotz der bestehenden Schwierigkeiten gelangt russisches Gas immer noch nach Deutschland, allerdings auf verschlungenen Pfaden. Es widerspricht jeder Logik und strategischen Überlegung, russisches Gas formal abzulehnen, während es in der Praxis weiterhin verwendet wird. Dies offenbart eine Diskrepanz in der politischen Argumentation, die bei genauerer Betrachtung offensichtlich wird.
Es scheint, dass hinter dieser irrationalen Politik vorrangig amerikanische Interessen stehen. Die USA setzen offenbar alles daran, eine engere Zusammenarbeit, geschweige denn eine Freundschaft zwischen Deutschland und Russland zu unterbinden. Aus ihrer Sicht mag diese Strategie durchaus Sinn ergeben, doch die Motive deutscher Politiker und Medien sind schwieriger zu durchschauen. Möglicherweise sind die Aussichten auf künftige lukrative Positionen in Wirtschaft und Think Tanks für viele Entscheidungsträger zu verlockend, als dass sie eigenständige und mutige Entscheidungen treffen könnten. Diese traurige Realität offenbart eine tiefe charakterliche Schwäche bei den deutschen Entscheidungsträgern.
Ironischerweise reden ebenjene Figuren, die sich von ausländischen Interessen leiten lassen, von Unabhängigkeit. Dies wäre zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre.
Das Märchen von der Unabhängigkeit
Begriffe wie Demokratie, Freiheit und Solidarität werden oft positiv wahrgenommen, ähnlich verhält es sich mit der Unabhängigkeit, die Freiheit und autonome Entscheidungsfähigkeit suggeriert. Doch tatsächliche Unabhängigkeit ist eine Illusion, insbesondere in Deutschland. Russland, reich an Ressourcen, könnte sich im Notfall selbst versorgen, ist aber trotzdem global wirtschaftlich aktiv. Im globalen Handel bedeutet Unabhängigkeit eher wechselseitige Abhängigkeiten, die aus dem Bedarf und Angebot von Gütern entstehen.
Die deutsche Politik zeichnet sich dabei besonders durch eine Art selbst gewählte Abhängigkeit aus, indem sie theoretisch auf russisches Gas verzichtet, praktisch aber nicht auf die Nutzung von Gas insgesamt. Diese Selbsttäuschung führt zu höheren Kosten und zeigt, dass Unabhängigkeit in der aktuellen politischen Rhetorik eine reine Illusion ist.
Auch das öffentliche Narrativ der Unabhängigkeit wird durch die massiv steigende Abhängigkeit von amerikanischen Gaslieferungen ad absurdum geführt. Dies ist Teil einer gut orchestrierten Propaganda, die vom wahren Ausmaß der Abhängigkeit ablenken soll.
Auf die Spitze getrieben
Die Abhängigkeit von eigenen Ressourcen wird für Russland zunehmend problematisch. Nach militärischen Spannungen mit der Ukraine drohen Unterbrechungen in der Gasversorgung nach Europa. Trotz der erheblichen wirtschaftlichen Folgen für betroffene Länder wie Ungarn und Österreich scheint die EU indifferent zu sein gegenüber den Risiken, die durch solche Konflikte entstehen. Die Komplexität der geopolitischen Lage zeigt deutlich, dass eigentliche wirtschaftliche Unabhängigkeit kaum mehr als ein politisches Schlagwort ist.
Die von den USA umgeleiteten Flüssiggaslieferungen, die Deutschland im Winter erreichen sollten, könnten möglicherweise ausbleiben, was die Lage zusätzlich verschärft. Dies könnte im schlimmsten Fall zu einer „romantischen“ aber kalten Winterlandschaft in Deutschland führen, in der die Bevölkerung „in Unabhängigkeit friert“.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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