Von Elem Chintsky
Die in der Türkei ansässige sozialistische Tageszeitung Evrensel veröffentlichte kürzlich eine detaillierte Analyse über den drastischen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung. Dabei wurde in der Betitelung gefragt, ob Deutschland vom “Wirtschaftswunder” zum “kranken Mann Europas” mutiert sei. Diese Charakterisierung bezieht sich auf eine historische Bezeichnung, die das britische Finanzmagazin The Economist bereits zweimal, das erste Mal im Jahr 1999 und dann erneut vor einem Jahr, auf Deutschland angewandt hat.
Evrensel bejaht diese Frage und erinnert daran, dass der Ausdruck “kranker Mann” früher auf Länder angewandt wurde, deren Wirtschaft am zusammenbrechen war. Ähnlich wie das Osmanische Reich zu Anfang des 20. Jahrhunderts, das nach seiner Beteiligung am Ersten Weltkrieg und dem folgenden blutigen Bürgerkrieg zerfiel.
Im letzten Jahr häuften sich Berichte über namhafte deutsche Unternehmen, die ihre Belegschaften drastisch reduzieren wollen. Beispielsweise berichtete die Tagesschau über Stellenstreichungen bei Continental, Vodafone, Ford, und DPD, die jeweils angekündigt hatten, Tausende von Arbeitsplätzen abzubauen.
Blickt man auf das kommende Jahr, zeichnet sich eine Fortsetzung dieses Trends ab. Groß angelegte Abbaupläne stehen bei der Deutschen Bahn, ZF Group und SAP SE an, die zusammen über 50.000 Arbeitsplätze in den nächsten Jahren abbauen wollen, was besonders die Automobilindustrie, als Herzstück der deutschen Wirtschaft, in eine Krise stürzen könnte.
Die türkische Zeitung führt weiter aus, dass, wenn man nur die sicher bekannten Zahlen zusammenzählt, etwa 70.000 Fachkräfte entlassen werden. Die zusätzlichen Stellenstreichungen in kleinen und mittelständischen Unternehmen verdeutlichen, dass die Lasten der Wirtschaftskrise hauptsächlich von den Arbeitnehmern getragen werden.
Das Blatt weist zudem auf die freiwillige Ablehnung Deutschlands hin, seit Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine auf günstige russische Energie zuzugreifen, was zu einer fortschreitenden Deindustrialisierung beiträgt. Evrensel prophezeit, dass keine signifikante wirtschaftliche Erholung bis 2030 zu erwarten sei.
Die finanzielle Belastung durch die nahezu bedingungslose Unterstützung der Ukraine wird als “letzter Nagel im Sarg der deutschen Volkswirtschaft” beschrieben. Darüber hinaus plant das deutsche Verteidigungsministerium, das Land innerhalb von fünf Jahren kriegstüchtig gegen Russland zu machen, eine Perspektive, die bis 2030 Bestand haben wird.
Die Verlagerung von Produktionsteilen des Haushaltsgeräteherstellers Miele nach Polen und die dadurch folgende Entlassung von 2.700 deutschen Mitarbeitern verdeutlichen ebenfalls die wirtschaftlichen Verschiebungen in Europa.
Der ehemalige US-Präsident und wieder kandidierende Donald J. Trump erklärte neulich, dass die USA vor einer ernsthaften wirtschaftlichen Depression stünden, eine Lage, die Deutschland stark beeinflussen könnte, sollte es seine Politik nicht ändern.
Ohne Zweifel würde eine Wirtschaftskrise in Deutschland lang anhaltende gesellschaftliche und kulturelle Erschütterungen nach sich ziehen, die neuen politischen Strömungen wie der AfD oder dem BSW Zuwachs und Einfluss verschaffen könnten.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Chintsky, der in Sankt Petersburg lebt und arbeitet, pflegt seit 2017 eine enge Zusammenarbeit mit RT DE und hat auch einen eigenen Kanal auf Telegram.
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