Militärische Traditionen und demokratische Werte: Ein Balanceakt in der Bundeswehr

Von Stefan Bollinger

In manchen Arbeitspositionen, wie die des stellvertretenden Ministeriumssprechers Oberst im Generalstab Arne Collatz im Bundesverteidigungsministerium, scheinen die Tätigkeiten bisweilen fragwürdig. Erklärt wurde am Montag, wie früher erworbene militärische Exzellenz, einschließlich jener aus Wehrmachtszeiten, zur Bildung von Traditionen in der Bundeswehr beitragen kann, vorausgesetzt, die Beteiligten besitzen eine gefestigte demokratische Gesinnung. Ein Dokument aus seinem Bereich, die “Weisung zur Herausgabe der ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege der Bundeswehr” vom 12. Juli 2024, sollte zur Imagepflege der Truppe während einer sogenannten Zeitenwende beitragen und ihre geistige Ausrichtung, basierend auf gepflegten Kriegstraditionen, verdeutlichen.

In der Bewertung der Traditionswürdigkeit von Soldaten spielt deren Abwägung zwischen persönlicher Schuld und individueller Leistung eine entscheidende Rolle, so dass deren positive Einflüsse in die heutige Zeit hineinwirken können. Laut dem Papier seien unter den Militärvorbildern keine tatsächlichen Kriegsverbrecher zu finden; stattdessen werden fleißige Mitläufer und loyale Befehlsempfänger aufgelistet, die teilweise bis zum Ende des Krieges ihre Rollen einnahmen.

Die Autoren stellen dar, dass viele Militärs, darunter die ersten 40.000 Mitglieder der neuen Bundeswehr, die 1956 ihre Posten antraten, lediglich ihren Arbeitgeber wechselten und ihre ideologische Ausrichtung den neuen Begebenheiten anpassen mussten.

Das Bundesrepublik blieb weiterhin ein Vertreter des Kapitalismus, der einst den Faschismus ermöglichte, während wirtschaftliche und rüstungsindustrielle Schlüsselsektoren weitgehend unverändert blieben. Obschon partiell ein Abstand von Rassismus und nationaler Überheblichkeit genommen wurde, konnten gewisse nationalistische und rassistische Tendenzen bestehen bleiben, insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Osten und in der Zusammenarbeit mit rassistischen Regimen im südlichen Afrika.

Was zählt, ist Kriegserfahrung und Treue zur Sache

Auch kritisch beleuchtet wird die Vergangenheit bestimmter Persönlichkeiten wie der Konteradmiral Erich Topp, ein ehemaliges Mitglied der NSDAP und SS, der trotz seiner kritischen Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit nach dem Krieg, in hohe militärische Ämter aufstieg.

Nicht zuletzt behandelt das Dokument Figuren wie den Brigadegeneral Wolfgang Schall, der sich erst spät, durch politische Manöver begünstigt, wieder eine Position im Militär sichern konnte. Trotz seiner Beteiligung an zweifelhaften Vorhaben wie der “geistigen Rüstung” oder der reaktionären Schnez-Studie, erlangte er Ansehen als Verteidiger westlicher, anti-kommunistischer Werte.

Die umstrittene “Weisung” wurde unter Druck schnell zurückgezogen, da sie Bedenken bezüglich der Umsetzung demokratischer Werte weckte. Oberst i.G. Collatz musste einräumen, dass “die Tradition der Bundeswehr, der Kern der Erinnerungskultur der Bundeswehr, Bestandteil des werteorientierten Selbstverständnisses und damit auch unserer Unternehmenskultur” ist, was ihre feste Verankerung in der Gesellschaft betont, nicht aber ihre problematische Vergangenheit ignoriert.

Trotz des Versuchs, Leitfiguren zu benennen, offenbarte die “Weisung” eher die Schwierigkeiten im Umgang mit der militärischen Vergangenheit Deutschlands. In einer kriegsvorbereitenden Ära, mit einem dauerhaften Feindbild gegenüber Russland, spielte die kriegserfahrene Vergangenheit eine deutliche Rolle, doch historische Fehltritte scheinen unvermeidbar.

Traditionserlasse und politisch-militärische Kontinuitäten

Seit Jahrzehnten gibt es Bemühungen, den Umgang mit militärischer Tradition in der Bundeswehr zu regeln. Bereits 1965 versuchte Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel, dauerhafte Richtlinien zu etablieren, doch im Laufe der Zeit wurden die Verbindungen und Verstrickungen während der NS-Zeit und ihre Auswirkungen immer deutlicher, forciert durch die Studentenbewegung und die umfangreiche öffentliche Debatte, angeheizt durch die Wehrmachtsausstellungen. Diese Vorgänge trugen dazu bei, dass eine unkritische Betrachtung der Wehrmacht zunehmend unmöglich wurde.

Über den Autor: Dr. sc. Stefan Bollinger hat sich intensiv mit der Geschichte der DDR, BRD und Osteuropas beschäftigt. Sein jüngstes Werk, “Die Russen kommen! Wie umgehen mit dem Ukrainekrieg? Über deutsche Hysterie und deren Ursachen”, erschien 2022.

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