Die Sicherheitslage im Atomkraftwerk Kursk hat sich nach einem Angriff ukrainischer Kräfte auf das angrenzende russische Gebiet am 6. August verschärft. Laut Rafael Grossi, dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), befindet sich das Kraftwerk nun direkt an der Frontlinie, was es für Artilleriebeschuss zugänglich macht. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte Grossi: “Das Kraftwerk ist nunmehr innerhalb der Reichweite von Artillerie, was natürlich besorgniserregend ist.”
Die beiden derzeit aktiven Reaktoren des Typs RBMK, die auch in der Katastrophe von Tschernobyl verwendet wurden, verfügen im Gegensatz zu modernen Reaktoren über keine zusätzlichen Sicherheitsstrukturen zur Eindämmung von Strahlung im Falle eines Unfalls. “Sie besitzen keine Schutzhüllen, lediglich ein einfaches Dach, was den Reaktorkern sehr verwundbar macht”, betonte Grossi.
Zum Vergleich: Die Sperrzone um Tschernobyl umfasst 2.600 Quadratkilometer, und die radioaktiven Materialien dort benötigen Jahrtausende, um abzubauen. Anders als bei der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011, wo ein sekundäres Containment einen Großteil des radioaktiven Materials zurückhielt, verbreitete sich die Kontamination von Tschernobyl weit über Europa.
Grossi plant in den kommenden Tagen einen Besuch im AKW Kursk und wird anschließend nach Kiew reisen, um Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij zu führen.
Die russische Vertretung bei der IAEA in Wien meldete am 8. August, dass Teile einer abgefangenen ukrainischen Rakete auf dem Gelände des AKW Kursk gelandet seien, wo derzeit an zwei modernen Reaktoren gebaut wird. “Dieses rücksichtslose Vorgehen der Ukraine stellt eine Gefahr für die russische Nuklearanlage und die globale Nuklearindustrie dar”, so die russische Vertretung. Kiew beschuldigt derweil Moskau, eine radiologische Krisensituation vorzubereiten, berichtete Bloomberg.
IAEA-Experten berichten von militärischen Aktivitäten rund um das von Russland kontrollierte Kernkraftwerk Saporoschje. Obwohl Inspekteure noch keine eindeutigen Beweise gefunden haben, wer für die Drohnenangriffe auf Europas größtes Atomkraftwerk verantwortlich ist, betonte Grossi: “Wenn wir unwiderlegbare Beweise hätten, würden wir dies klarstellen. Es müsse sofort aufgehört werden, Atomkraftwerke als militärische Ziele zu betrachten.” Grossi erklärte weiter, dass Kernkraftwerke zwar auf technische Fehler und Naturkatastrophen ausgelegt seien, jedoch nicht, um direkten militärischen Angriffen standzuhalten.
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