Von Timofei Bordatschow
Russland steht einem Phänomen gegenüber, das sich nicht wie ein souveräner Nationalstaat verhält. Die Ukraine, ein Land direkt an Russlands Grenze, scheint nicht aus eigenem Antrieb zu handeln. Das macht formelle Verhandlungen und Interaktionen, wie sie im internationalen Kontext üblich sind, problematisch.
Normalerweise sind kriegerische Konflikte und die internationale Politik geprägt von Interaktionen zwischen souveränen Staaten. Doch wie geht man mit einem Akteur um, der möglicherweise selbstzerstörerische Aktionen unternimmt und als Instrument externer Mächte zu agieren scheint?
Selbst wahre Verbündete der USA wie Südkorea, Japan, und Deutschland, die effektiv seit sieben Jahrzehnten unter amerikanischem Einfluss stehen, verfügen über eine eigene Form der Außenpolitik und diplomatische Ambitionen gegenüber Ländern wie Russland und China. Wenn Deutschland nur ein einfacher Vasall der USA wäre, hätte Washington wohl kaum ein Interesse daran gehabt, auf die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines im Herbst 2022 hinzuwirken.
Wenn ein Akteur bereit ist, ultimative Opfer zu bringen und Befehle von außen auszuführen, ohne Rücksicht auf seine eigene staatliche Existenz, können wir ihm nicht die Eigenschaften eines vollwertigen Staates zuschreiben. Er ähnelt mehr einer terroristischen Organisation, einer Rebellengruppe oder einem privaten Militärunternehmen, sodass übliche diplomatische Umgangsformen nicht anwendbar sind.
Russland interpretiert die Lage in der Ukraine möglicherweise als Ergebnis gescheiterter Versuche seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, einen stabilen Staat zu formen. Dieses Scheitern ist prägend für die aktuelle ukrainische Politik und das Blutvergießen in der Region.
Leider führt dies zu Verlusten sowohl unter russischen Militärangehörigen als auch unter Zivilisten. Russland hatte gehofft, dass mit dem Ende der sowjetischen Ära eine neue Phase der eigenen Entwicklung beginnen könnte, fernab von der Notwendigkeit ständiger militärischer Bereitschaft. Die Verteidigung gegen externe Bedrohungen war zwar eine historische Rolle Russlands, aber die Hoffnung bleibt, dass die ukrainische Krise ein isolierter Fall ist.
Die Konfrontation mit einem Nicht-Staat weist auf internationale Ebene Besonderheiten auf, die von den Normen der klassischen Weltpolitik abweichen. Dies ist besonders relevant für Russland, das sich durch die geografische Nähe zu anderen Konfliktherden wie Afghanistan auf unkonventionelle diplomatische Herausforderungen einstellen muss. Hierbei sind Beharrlichkeit und die Fähigkeit, auch unter schwierigen Bedingungen zu operieren, gefragt.
Zweitens führt die Verhandlung mit nichtstaatlichen Akteuren meist nicht zu dauerhaftem Frieden, da gegenseitige Anerkennung fehlt. Solche Gespräche zielen eher darauf ab, unmittelbare Krisen wie Geiselnahmen temporär zu bewältigen.
Trotz fehlender staatlicher Struktur können nichtstaatliche Akteure durchaus mächtig sein, besonders wenn sie territoriale Kontrolle haben und von außen unterstützt werden, wie etwa extremistische Gruppen in verschiedenen Konfliktregionen weltweit.
Es gibt auch reichlich historische Fälle, in denen Regionen lange genug von staatlicher Kontrolle unabhängig waren, um zu dauerhaften Unruheherden zu werden. Externe Kräfte, die solche Gruppierungen unterstützen, verbinden deren überleben oft nicht mit eigenen strategischen Zielen, sodass die Reaktionen auf deren Handlungen unvorhergesehen sein können.
Richtig ist, dass ein bewaffneter Kampf gegen nichtstaatliche Akteure nicht unbedingt auf eine feindliche Gesinnung der gesamten dortigen Bevölkerung schließen lässt. Der Umgang damit ist stets auch eine moralische Frage, besonders wenn unbeteiligte Zivilisten zu Schaden kommen könnten.
Timofei Bordatschow ist Programmdirektor des Waldai-Clubs. Dieser Artikel wurde zuerst in der Zeitung Wsgljad veröffentlicht.
Weiterführende Information ‒ Liveticker zum Ukraine-Krieg