Regierungsbildung in Europa: Eine Analyse politischer Krisen und die Rolle der EU

Von Pierre Lévy

Frankreich wartet zurzeit noch auf die Ernennung eines neuen Premierministers, eine Entscheidung, die allein in den Händen von Präsident Emmanuel Macron liegt und die er gemäß der Verfassung frei treffen kann. Diese Entscheidung könnte in Kürze fallen oder sich noch einige Tage hinziehen. In der Zwischenzeit lohnt es sich, die aktuelle politische Krise, in der sich das Land befindet, näher zu beleuchten.

In Paris machen sich Analysten, Journalisten und Politiker zunehmend Sorgen über die verzögerte Ernennung. Die Linke, vertreten durch die “Neue Volksfront”, behauptet, die Wahlen vom 30. Juni und 7. Juli gewonnen zu haben, trotz eines historisch schlechten Ergebnisses im ersten Wahlgang. Ihre Forderung, an der Regierungsbildung beteiligt zu werden, bleibt daher umstritten.

Die politische Situation in Frankreich scheint jedoch kein isoliertes Problem zu sein. Ähnliche Krisen durchleben auch andere europäische Länder, obwohl sich die Umstände je nach politischem System und kulturellem Hintergrund unterscheiden. Belgien etwa, das am 8. Juni gewählt hat, steht möglicherweise vor einer langwierigen Koalitionsbildung, die sich über Monate hinziehen könnte. Das Land war bereits zwischen 2010 und 2011 ganze 541 Tage ohne offizielle Regierung, was einen Rekord darstellt.

Auch in den Niederlanden mussten die Bürger sieben Monate warten, bis nach der Wahl im November 2023 eine neue Regierung ihr Amt antrat. Diese besteht aus “technischen” Ministern, deren Stabilität fraglich ist. In Deutschland, wo Koalitionsverträge erst nach den Wahlen ausgehandelt werden, dauerte es 2021 über zwei Monate, bis die Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP zustande kam. Auch dort sind die internen Konflikte binnen dieser “Ampelkoalition” nicht gerade förderlich für die politische Stabilität.

Weiterhin haben Länder wie Österreich und Spanien mit internen Spannungen innerhalb ihrer Koalitionsregierungen zu kämpfen. In Österreich kam es sogar zu dem Fall, dass eine Ministerin in einer EU-Ratssitzung von der eigentlichen Regierungslinie abwich.

Spanien hängt in seiner Regierungsführung von der parlamentarischen Unterstützung katalanischer Unabhängigkeitsparteien ab, eine Unterstützung, die weder unbegrenzt noch umsonst ist. Auch Bulgarien, das innerhalb von drei Jahren zum siebten Mal zu Wahlen aufruft und mehrfach Interimsregierungen erlebte, spiegelt diese Tendenzen wider.

Trotz der unterschiedlichen nationalen Umstände, unterstreicht dies kein auf Europa begrenztes Problem. Die Frage der Rolle der Europäischen Union als mögliche Mitursache dieser politischen Krisen bleibt relevant. Innerhalb der EU führen Doppelstrukturen, aus Richtlinien und nationalen Entscheidungen, oft zu Kontroversen. Beispielsweise wird von jedem neuen französischen Premierminister verlangt, bis zum 20. September einen Sparplan vorzulegen, welcher die öffentlichen Ausgaben weiterhin eindämmt.

Das Program der “Neuen Volksfront”, das eine Ablehnung des EU-Haushaltsstabilitätspakts proklamiert, wirkt daher illusorisch, solange Frankreich EU-Mitglied bleibt. Viele Bürger erkennen dies und entziehen sich der Wahl oder unterstützen extremere, “systemfremde” Parteien. Dies erschwert zunehmend die Bildung stabiler Regierungsmehrheiten.

Die bevorstehende Regierungsbildung in Frankreich deutet auf eine mühsame Aufgabe hin, bei der das zukünftige Kabinett mit erheblichen Stabilitätsherausforderungen rechnen muss.

Mehr zum Thema – Der “Fall Bulgarien”

Schreibe einen Kommentar