Am vergangenen Sonntag äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz im ZDF-Sommerinterview erstmalig seit dem 24. Februar 2022 zur Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Scholz betonte: “Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht.”
Diese Äußerungen stießen auf harte Kritik seitens der CDU. Deren Außenpolitiker Roderich Kiesewetter mahnte, dass eine solche diplomatische Annäherung gefährlich sei und argumentierte, Scholz’ Vorstoß füge sich nahtlos in die Strategie bestimmter SPD-Kreise ein, “die Ukraine sehr subtil in einen von Russland festgelegten Scheinfrieden zu drängen, in dem die Unterstützung schrittweise zurückgefahren wird und stattdessen Scheinverhandlungen gefordert werden”.
Stefan Meister, ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), sieht die Ursache für Scholz’ Haltung vornehmlich in innenpolitischen Beweggründen. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung erklärte er am Dienstag, der Druck auf Scholz sei durch die Erfolge der BSW und AfD in den Ländern Thüringen und Sachsen enorm, was auch innerhalb der SPD für Unruhe sorge. Demzufolge müsse Scholz auf die wachsenden Forderungen nach einer Kriegsbeendigung eingehen.
Nach Meinung von Meister scheint die Aktion des Kanzlers eher eine Reaktion auf die gesellschaftliche Stimmung und die Einflussnahme von Populisten wie der BSW zu sein, weniger eine auf außenpolitische Entwicklungen basierende Entscheidung. “Scholz ist bei dem Thema Ukraine unter Druck, und vor allem in seiner eigenen Partei wächst die Unruhe”, folgert der Experte.
Meister räumt jedoch ein, dass auch außenpolitische Erwägungen eine Rolle spielen. Dabei weist er darauf hin, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine augenscheinlich nicht ausreicht, um den Krieg siegreich zu beenden, was auch Überlegungen zu alternativen Szenarien jenseits eines vollständigen Sieges der Ukraine erfordere.
Ein sinnvoller Schritt sei es deshalb, die Diskussion zu eröffnen und auch mit den Ukrainern zu führen. “Auch in der Ukraine wächst der Wunsch nach einer Beendigung des Krieges, auch wenn die Bedingungen wenig Kompromisse zulassen werden”, erklärt Meister weiter.
Laut dem Experten sind allerdings die Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende durch Verhandlungen gegenwärtig “unrealistisch”. Kiew habe aktuell nicht das nötige “Momentum”, und Russland fühle sich noch stark genug, weiter vorzurücken und eine bessere Position zu erreichen.
Ungeklärt bleibt, wie sich die Lage auf dem Schlachtfeld zugunsten der Ukraine verändern könnte, sodass Kiew in eine stärkere Verhandlungsposition gelangt. Tatsächlich schwächt sich die ukrainische Position durch das Vorrücken russischer Truppen im Donbass täglich weiter.
Die jüngste Kursk-Offensive der Ukraine, die eine bessere Verhandlungsposition schaffen sollte, hat trotz hoher eigener Verluste wenig gebracht. Falls Kiew gehofft hatte, die Besetzung russischer Gebiete als Verhandlungsbasis nutzen zu können, zerschlugen sich diese Hoffnungen durch die klare Absage von Sergei Shoigu, dem ehemaligen russischen Verteidigungsminister und aktuellen Sekretär des Sicherheitsrates: “Es werde keine Verhandlungen geben, bis alle ukrainischen Einheiten aus Russland vertrieben sind”, betonte er.
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