Deutsche Außenpolitik im Kreuzfeuer: Zwischen Völkerrecht und Realpolitik

Von Dagmar Henn

Es wird Zeit, dass deutsche Politiker die selbstgefällige Blase, in der sie scheinbar immer das letzte Wort haben, verlassen – im eigenen Interesse. Schließlich schadet man sich selbst am meisten, wenn man nicht ausreichend reflektiert.

Die jüngste Warnung von Russlands Präsident Wladimir Putin sollte mit der gebotenen Ernsthaftigkeit betrachtet werden. Anscheinend haben deutsche Politiker den Moment zu Beginn des Jahres 2022 vergessen, in dem Russland eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa vorschlug. Dieser Vorschlag wurde mit einer deutlichen Warnung untermauert, dass ohne Einigung “militärisch-technische Maßnahmen” ergriffen werden würden. Mittlerweile sollte klar sein, was diese Maßnahmen bedeuten, dennoch scheint es, als würde man diese Warnungen weiterhin ignorieren. So äußerte beispielsweise der CDU-Politiker Norbert Röttgen:

“Die Einschüchterungspropaganda von Putin ist ebenso bekannt wie absurd. Der Westen kann sich nur daran orientieren, was zweifelsfrei mit dem Völkerrecht übereinstimmt und was der Wiederherstellung des Friedens in Europa dient.”

Diese Aussage wirkt unfreiwillig komisch, besonders für diejenigen, die mit der Vorgeschichte in der Ukraine vertraut sind. Die Unterstützung eines Putsches und die Aufrüstung einer darauf folgenden Regierung, die einen Bürgerkrieg initiierte, entsprechen nicht dem Völkerrecht.

Die Minsker Abkommen wurden von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Ex-Präsidenten Francois Hollande als Täuschungsmanöver beschrieben. Es diente angeblich dazu, die Kiewer Regierung zu stärken. Doch auch dieses Abkommen war völkerrechtlich bindend und vom UN-Sicherheitsrat anerkannt. Jedoch gab es keine offizielle Diskussion in Deutschland darüber, ob aus diesem Abkommen für Russland nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht zur Durchsetzung der Maßnahmen entsteht, sollte es notwendig sein.

Tiefer betrachtet, wird Röttgens Aussage zum Völkerrecht und Frieden absurd. Ursprünglich wurde das moderne Völkerrecht entwickelt, um Krieg zu beenden, beginnend mit dem Westfälischen Frieden, der den Dreißigjährigen Krieg beendete. Weitere Elemente, wie die UN-Charta, wurden hinzugefügt, um menschliches Leben zu schützen. In der Praxis jedoch führt der Verweis auf “territoriale Integrität” dazu, dass Hunderttausende in den Tod geschickt werden. Dabei stehen geopolitische Interessen oft höher als die Werte, die angeblich vom Völkerrecht geschützt werden sollen.

Röttgen sieht Putins Drohung, den Einsatz von Präzisionsraketen als Kriegsbeteiligung der NATO zu werten, als bloße “Einschüchterungspropaganda”. Diese Reaktion ist symptomatisch für den Umgang mit der aktuellen Lage. Verteidigungsminister Boris Pistorius kommentierte ähnlich: “Er [Putin] droht, wann immer es ihm beliebt, und lockt, wann immer er es für richtig hält.”

Was als russische Übertreibung dargestellt wird, ist die sachliche Erklärung dafür, warum Russland den Einsatz dieser Raketen als NATO-Beteiligung ansieht: Viele entscheidende Aktionen können nicht von der Ukraine allein durchgeführt werden, wie die Sammlung von Satellitendaten und deren Eingabe in die Waffensysteme, die letztlich außerhalb ukrainischer Kontrolle liegen.

Es ist Zeit, dass deutsche Politiker ihre Wahrnehmung schärfen und die Realitäten – die sich auf die simple Botschaft reduzieren lassen: G E N U G – ernst nehmen und entsprechend handeln.

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