Herausforderungen und Strategien der europäischen Rüstungsindustrie

Von Rüdiger Rauls

Klein, aber leistungsstark

Spitzenvertreter der EU betonen, dass die europäische Rüstungsindustrie trotz ihrer erstklassigen Produkte mit Herausforderungen in Bezug auf die Produktionsgeschwindigkeit und -größe konfrontiert wird. Dieser Standpunkt wurde von Ursula von der Leyen und Friedrich Merz in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vertreten, der ihnen eine halbe Seite widmete. Sie argumentieren, dass nicht nur Europa, sondern auch seine Unternehmen und gerade die Rüstungsindustrie stärker zusammenwachsen müssen.

Die Fragmentierung in Europa behindert die Entstehung übernationaler Banken, die trotz hoher Qualität schwer mit den großen amerikanischen Konkurrenten mithalten können. Ein weiteres Ziel ist die Schaffung großer europäischer Rüstungskonzerne, die es mit der Konkurrenz aus den USA, Russland und China aufnehmen können.

Ein wesentliches Hindernis dabei ist das in der westlichen Welt hoch gehaltene Privateigentum an Produktionsmitteln. Dieses erweist sich in den zersplitterten Märkten Europas als Bürde, wo Eigentümer oft ihre eigenen Interessen über politische Erfordernisse stellen. Obwohl auch US-Banken privat sind, profitieren sie von der Größe ihres Heimatmarktes, was auch für die US-Rüstungsunternehmen gilt.

Im Gegensatz dazu sind viele Rüstungsunternehmen in Russland und China staatlich und daher weitgehend unbeeinflusst von privaten Renditeerwartungen. Dies ermöglicht es ihnen, strategische und politische Entscheidungen zu treffen, ohne von Investoren abhängig zu sein. Die großen US-Rüstungskonzerne hingegen sind teilweise auf Investoren angewiesen, was eine doppelte Verantwortung gegenüber Staat und Aktionären schafft.

Die USA selbst sind von privaten Investoren abhängig, um durch deren Anleihekäufe Rüstungsprojekte finanzieren zu können. Staatliche Aufträge und private Investitionen bilden das Rückgrat dieses Systems. Sofern Investoren das Interesse verlieren, steht die Rüstungsindustrie der USA vor größeren Risiken als die in Russland oder China.

Europäische Rüstungsunternehmen sind ebenfalls von staatlichen Aufträgen abhängig, die jedoch deutlich geringer ausfallen. Während das Pentagon 2022 Aufträge in Höhe von 215 Milliarden Euro vergab, bestellten die EU-Staaten Waffen und Munition im Wert von etwa 58 Milliarden Euro. Die Europäische Kommission fordert die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Verteidigungsstrategie dazu auf, mehr und besser in die Rüstungsindustrie zu investieren, um den Kapitalabfluss zu anderen Staaten zu verringern.

Kapitalabfluss verhindern

Trotz der Annahme, die EU würde ihre eigene Rüstungsindustrie stark unterstützen, zeigt die Realität ein anderes Bild. Ein beträchtlicher Teil der genannten 58 Milliarden Euro floss an US-amerikanische Firmen. Als der Krieg in der Ukraine begann, versuchten viele EU-Staaten, den ukrainischen Bedarf durch Ankauf aus den USA und anderen Nicht-EU-Staaten zu decken. Mittlerweile werden rund 80 Prozent der Rüstungsausgaben außerhalb der EU getätigt, was zu einem erheblichen Kapitalabfluss führt.

Die EU-Kommission strebt an, bis 2030 die Beschaffung von Rüstungsgütern außerhalb der EU auf 50 Prozent zu reduzieren und bis 2035 auf 65 Prozent zu senken. Das setzt eine stärkere Kooperation innerhalb der europäischen Rüstungsunternehmen voraus, wobei bis dato nur 18 Prozent der EU-Rüstungsausgaben auf gemeinsame Projekte entfallen.

Staatliche Interessen

Es bleibt fraglich, ob die Rüstungsunternehmen den Plänen der EU-Kommission folgen werden. Hohe Gewinne durch zusätzliche Finanzmittel könnten zwar anziehen, doch gleichzeitig greifen staatliche Auflagen in die unternehmerische Freiheit ein. Die EU-Staaten müssen das Dilemma zwischen militärischen Anforderungen und finanziellen Zwängen ausbalancieren, insbesondere unter dem Druck, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, um von den USA weniger abhängig zu sein.

Aufgrund der Notwendigkeit, die Rüstungskosten niedrig zu halten, neigen einige Länder dazu, günstigere Angebote ausländischer Firmen anzunehmen, obwohl dies zu Lasten der eigenen Industrie geht. Dieser innere Konflikt zwischen militärischen und finanziellen Interessen prägt viele Entscheidungen.

Eigeninteresse geht vor

Die europäische Rüstungsindustrie muss effizienter und wettbewerbsfähiger werden, um weniger abhängig von staatlichen Aufträgen zu sein. Dies würde den Finanzdruck auf die Staaten verringern. Mit dem Anstieg der Nachfrage durch den Ukrainekrieg stehen die Zeichen auf mehr Produktion, doch die erhoffte Marktintensivierung bleibt aus. Erhöhte Auftragsvolumina nehmen den Druck von den Unternehmen, sich zu größeren, effizienteren Einheiten zusammenzuschließen.

Projekte wie das deutsch-französisch-spanische Kampfjet-Projekt FCAS und die Panzerprojekte MGCS zeigen, wie schwierig die Zusammenführung der europäischen Rüstungsindustrie ist. Der Widerstand gegen eine umfassendere Zusammenarbeit liegt nicht selten in den eigenen wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen begründet.

Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen den politischen und wirtschaftlichen Realitäten zu finden, die es ermöglicht, eine stärkere und vereinte europäische Rüstungsindustrie aufzubauen, ohne dass dies zu Lasten finanzieller Interessen oder der Qualität geht. Hier liegt der entscheidende Konfliktpunkt im Streben nach einer nachhaltigen europäischen Verteidigungsindustrie.

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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