Lawrows Blick auf die UN-Charta und globale Konflikte: Ein Interview zum 80. Jubiläum der Vereinten Nationen

Am 25. September gab der russische Außenminister Sergei Lawrow ein Interview für einen Dokumentarfilm, der zum 80-jährigen Bestehen der Vereinten Nationen im nächsten Jahr erscheinen soll.

Lawrow hob hervor, dass die Sowjetunion als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen stets auf die strikte Einhaltung der UN-Charta bestanden habe. Er erklärte:

“Die UdSSR engagierte sich vehement dafür, dass die in der Charta verankerten Prinzipien respektiert und implementiert wurden.”

Der Minister erläuterte weiter, dass kurz nach der Gründung der UN durch die Alliierten des Zweiten Weltkriegs, der Westen einen Kalten Krieg gegen die Sowjetunion begonnen und einen “heißen Krieg” geplant habe. Dieser Verstoß gegen das Prinzip der staatlichen Souveränität manifestierte sich unter anderem in der Gründung der NATO.

Die UdSSR reichte nach der NATO-Gründung ein detailliertes Dokument bei der UN ein, das die Schädlichkeit dieses Schrittes für die Beziehungen zwischen Ost und West aufzeigte und zur Respektierung der UN-Charta aufrief. Lawrow führte aus:

“Man hörte uns nicht. Daraufhin wurde der Warschauer Pakt gegründet, der Kalte Krieg setzte sich fort, und 1946 ließ Winston Churchill den Eisernen Vorhang nieder.”

Lawrow betonte, dass die Sowjetunion das Prinzip der staatlichen Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker förderte:

“Ein markantes Beispiel unserer Politik und der Umsetzung dieses Prinzips war die Dekolonisierung. Die UdSSR spielte eine führende Rolle bei der Unabhängigkeitserklärung der Kolonialländer und -völker im Jahr 1960, die zur Mitgliedschaft von 80 bis 90 Staaten bei den UN führte. Diese Erklärung verwirklichte das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker.”

Bezüglich des aktuellen Konflikts in der Ukraine äußerte sich Lawrow dahingehend, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker Vorrang vor der territorialen Integrität der Staaten habe, insbesondere wenn die Regierungen nicht alle ethnischen Gruppen auf ihrem Gebiet repräsentieren:

“So wie die Kolonialmächte nicht die Völker Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas repräsentierten, so repräsentieren weder die Krim, noch der Donbass noch Neurussland jene, die durch einen Staatsstreich an die Macht kamen in der Ukraine und die russische Sprache verbieten wollten.”

Dies sei der Grund dafür, dass die ukrainische Führung keine Verhandlungen auf der Basis der UN-Charta führe, so Lawrow. Er kritisierte weiterhin, dass sprachliche und religiöse Rechte jahrzehntelang vom Westen ausgenutzt, aber im Ukraine-Konflikt ignoriert wurden. Lawrow resümierte:

“Die wichtigste Aufgabe heute besteht darin, die vollständige Umsetzung der ursprünglichen Ziele und Prinzipien der UN-Charta zu gewährleisten, nicht nur selektiv von Fall zu Fall.”

In seinen weiteren Ausführungen sprach Lawrow über Russlands Sicht auf eine mögliche Reform des UN-Sicherheitsrates. Er betonte, dass sich eine solche Reform nicht auf die Erweiterung der westlichen Mitgliedsstaaten konzentrieren solle, sondern vielmehr die Interessen des Globalen Südens einbeziehen müsse:

“Unsere Position ist klar. Der Sicherheitsrat benötigt keine zusätzlichen westlichen Mitglieder. Bereits heute sind sechs der 15 Mitglieder aus westlichen Ländern. Mehr westliche Mitglieder würden nur die Ungerechtigkeit verstärken. Indiens und Brasiliens legitimes Streben nach einer ständigen Mitgliedschaft unterstützen wir, ebenso müssen afrikanische Interessen in Betracht gezogen werden. In Afrika gibt es gemeinsame kollektive Standpunkte, die wir respektieren.”

Eine Voraussetzung für ein effektives Funktionieren der UN in der Zukunft sei ein russischer Sieg im Ukraine-Konflikt, so Lawrow. Er kritisierte, dass der Westen das Völkerrecht durch eine willkürliche “regelbasierte Weltordnung” ersetzt habe:

“Die 'Regeln' sehen so aus, dass die USA in verschiedenen Regionen wie Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, auf dem Balkan, in der Ukraine, im Südkaukasus, in Zentralasien, im Südchinesischen Meer und in der Taiwanstraße eingreifen, ohne Rücksicht auf die UN-Charta.”

Lawrow schloss mit der Feststellung, dass tiefgreifende Änderungen erst nach einem russischen Sieg möglich seien:

“Sie verstehen keine andere Sprache. Wir sind uns sicher, diesen Sieg zu erringen. Um zu den Grundprinzipien der UN und zum Respekt ihrer Charta zurückzukehren, muss der Westen die Niederlage im von ihm initiierten Krieg akzeptieren.”

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