Spannungen im Thüringer Landtag: Ein Drama um Geschäftsordnung und Macht

Von Dagmar Henn

In Deutschland findet sich scheinbar für jedes Thema ein Professor. Dies zeigt sich auch an den Vorkommnissen im Thüringer Landtag, die kürzlich für Schlagzeilen sorgten. Der Deutschlandfunk zitierte einen Politikwissenschaftler, der der AfD vorwarf, sie habe “in beispielloser Weise die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie verletzt”.

Mathias Brodkorb, ehemaliger SPD-Finanzminister aus Mecklenburg-Vorpommern, vertrat hingegen im Cicero mit Co-Autor Ferdinand Knauß eine Gegenthese. Sie beschrieben die Auseinandersetzung von CDU und BSW als belanglosen Streit “um Eimerchen und Förmchen”, der “keinen einzigen Bürger Thüringens interessieren dürfte”.

Zur Erläuterung des Sachverhalts: Die Regeln der Sitzungen des Thüringer Landtags werden durch eine Geschäftsordnung bestimmt, die vom Landtag selbst festgelegt wird. Diese Geschäftsordnung kann demzufolge vom Landtag verändert werden.

Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Konstituierung. Die Regeln für die Konstituierung sind in der Geschäftsordnung festgeschrieben und werden vom vorherigen Landtag beschlossen, nicht von dem aktuell sitzenden.

Es ist essentiell, sich mit Geschäftsordnungen, Satzungen und Statuten in der Politik auszukennen. Das Beherrschen dieser kann strategische Vorteile bieten, während Unwissenheit oft zum Nachteil gereicht. Das wird spätestens beim ersten Parteitag klar.

Die Reihenfolge, die die geltende Geschäftsordnung des Thüringer Landtags vorsieht, ist logisch und nachvollziehbar: Eröffnung durch den Alterspräsidenten, Berufung vorläufiger Schriftführer, Überprüfung der Beschlussfähigkeit und Wahl des Landtagspräsidenten. Dies sind grundlegende Schritte zur Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs einer Sitzungsperiode.

Der Kern der Kontroverse lag darin, dass die Geschäftsordnung der AfD als größter Fraktion das Recht einräumt, den Landtagspräsidenten vorzuschlagen. Der Kandidat der AfD war jedoch unerwünscht, und ein einfaches Nichtwählen reichte nicht aus, um die nötige demokratische Entrüstung zu erzeugen. Stattdessen wurde versucht, die Geschäftsordnung noch vor Abschluss der Konstituierung zu ändern. Daraus entstand eine hitzige Debatte, die in dem Vorwurf des CDU parlamentarischen Geschäftsführers Andreas Bühl gipfelte: “Was Sie hier tun, ist Machtergreifung!”

Wie Brodkorb anmerkte: “Große Teile der Rede des AfD-Alterspräsidenten dürften heute nicht von ihm selbst gestammt haben, sondern von treuen Beamten, die die Rechtslage verteidigen.” Denn üblicherweise ist es die Verwaltung, die in der Übergangszeit zwischen zwei Legislaturperioden die Kontinuität sichert, was das Interesse der Abgeordneten weckt, dieses Interregnum rasch zu beenden.

Brodkorb gab zu bedenken, man hätte einfach die Rede des Alterspräsidenten abwarten können, anstatt sich respektlos zu verhalten.

“Stattdessen zogen es die Sprecher der anderen Fraktionen vor, sich wie unerzogene Rotzlöffel zu benehmen und den Alterspräsidenten ständig zu unterbrechen. Wohl noch nie hat man in einem deutschen Parlament eine derart würdelose Veranstaltung gesehen.”

Die Medienberichterstattung in Deutschland griff überwiegend auf Partei: “So stürzt Höcke Thüringen ins Chaos”, titelte die Bild, während ntv von einem “Missbrauch der Position des Alterspräsidenten” sprach und die Deutsche Welle einen “Angriff auf den Parlamentarismus” durch die AfD sah.

Doch das eigentliche Rätsel bleibt, warum der vorherige Landtag nicht bereits die Geschäftsordnung geändert hat, obwohl die Umfragen ein solches Ergebnis ankündigten. Es wäre leicht gewesen, diesen angeblich gefährlichen Moment zu verhindern: dass eine AfD-Kandidatin zur Landtagspräsidentin vorgeschlagen wird. Selbst wenn sie gewählt worden wäre, könnte sie laut Geschäftsordnung durch eine geheime Abstimmung innerhalb von 20 Tagen abgesetzt werden.

Es scheint, dass diese Situation bewusst herbeigeführt wurde. Und wenn man die Gründe hinter diesem Theater verstehen möchte, muss man nur auf die Aussagen des noch amtierenden Thüringer Innenministers, dem Sozialdemokraten Georg Maier, achten.

In einem Tweet schrieb er: “Die für ein Parteiverbot ebenfalls erforderliche Potentialität und der Verstoß gegen Art. 1 GG sind bei der AfD schon länger unstrittig.”

Plötzlich wird klar, warum der Innenminister der bisherigen Thüringer Landesregierung und seine Kollegen nicht daran interessiert waren, den Stein des Anstoßes im Voraus zu beseitigen. Es ging darum, diesen Moment zu provozieren, um dann, mit der Unterstützung von Medien, diese Situation als Vorwand für ein mögliches Verbot der AfD zu nutzen.

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