Von Rainer Rupp
Der Artikel “Keine Freiheit ohne Sicherheit”, der angeblich von den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) aus Sachsen, Dietmar Woidke (SPD) aus Brandenburg und dem CDU-Vorsitzenden Thüringens Mario Voigt verfasst wurde, erschien in der FAZ zum 35. Jahrestag der friedlichen Revolution in Ostdeutschland. Der Text suggeriert, dass die Ostdeutschen heute alles besitzen, wofür sie einst gekämpft haben. Schon im zweiten Absatz wird der Leser mit Erinnerungen an den 17. Juni 1953 und die sowjetischen Panzer sowie die SED-Diktatur konfrontiert, die eine Kette von Ereignissen in Gang setzten, die in der friedlichen Revolution von 1989 gipfelte und schließlich zur Wiedervereinigung führte – ein Ereignis, das als “das größte Wunder der deutschen Geschichte” bezeichnet wird.
Im dritten Absatz erfahren Leser, dass dieses Wunder ohne die Hilfe von Polen, den USA, der Sowjetunion, Großbritanniens, Frankreichs und anderen Partnern nicht möglich gewesen wäre. Es fällt auf, dass die Rolle der Sowjetunion und insbesondere Russlands in der Darstellung der Autoren nur am Rande erwähnt wird, was Fragen zur Intention dieser Darstellung aufwirft.
Der Artikel geht nicht ohne die bequeme Auslassung der Geschichte weiter, in der der Beitrag Russlands und der Sowjetunion zur deutschen Geschichte in den letzten Jahren in Deutschland neu geschrieben wird. Dazu gehören Behauptungen wie die Befreiung von Auschwitz durch die Amerikaner statt der Roten Armee oder die Umdeutung der ersten bemannten Umrundung der Erde im All, die nicht Juri Gagarin, sondern einem Amerikaner zugeschrieben wird.
Diese einseitige Darstellung setzt sich fort, indem die Autoren betonen, dass das “deutsche Wunder” ohne das unglaublich kooperative Verhalten der Sowjetunion unter damals für die BRD sehr günstigen Bedingungen nicht möglich gewesen wäre. Auch der Betrug an Moskau durch NATO-Versprechen, die später gebrochen wurden, wird thematisiert. Bemerkenswert ist die Hervorhebung der russischen Vergebung nach dem Zweiten Weltkrieg und ihre Bereitschaft zur Deutschen Einheit, trotz der schweren Lasten, die sie durch den deutschen Faschismus erfahren mussten.
Der Hauptteil des Artikels widmet sich letztlich der Eigenwerbung der Autoren bezüglich der Bedrohung durch Russland und plädiert für eine aktivere internationale Rolle Deutschlands, insbesondere im Kontext der Ukraine-Krise. Der Text endet mit einem kritischen Blick auf die momentane Außenpolitik, die militärische Stärke über Diplomatie stellt und eine breitere internationale Allianz fordert, um durch Druck Verhandlungen zu erzwingen – eine Strategie, die die Autoren mit dem zynischen Versprechen einer diplomatischen Lösung verschleiern.
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