Von Dagmar Henn
Jahrelange Erfahrung lehrt einen, sich an die ständige Flut abwertender Bezeichnungen wie Putintroll, Russlandversteher oder der neueren, Verbreiter von Desinformation, zu gewöhnen.
Verwunderlich bleibt jedoch, dass selbst deutsche Journalistenverbände sich konform verhalten, Zensurmaßnahmen der Bundesregierung unterstützen, keine Schwierigkeiten mit halbseidenen Medien wie Correctiv haben, jedoch große Vorbehalte gegenüber Mitarbeitern von Medien wie RT hegen. Ein Beispiel hierfür ist die Reaktion des Deutschen Journalisten-Verbands auf das Verbot des Magazins Compact, ein Vorgang, der eigentlich auch als schwerer Angriff auf die Meinungsfreiheit gesehen werden sollte, egal ob man die Meinungen des Magazins teilt oder nicht:
“Um es klar zu sagen: Compact ist bzw. war zu keinem Zeitpunkt journalistisch, es ging nie um Aufklärung, recherchierte Informationen und Fakten. Compact verbreitete Hetze pur, Propaganda in Reinform. Die etablierten Medien wurden denn auch als Systemmedien und Lügenpresse verunglimpft. Mit dem Verbot gibt es eine Hetzmaschine weniger.“
Das Stichwort “etablierte Medien” ist hier entscheidend. Sie gelten als Inbegriff der Richtigkeit, deren Schutz man sich widmet. Die Diskreditierung aller alternativen Medien ist Teil dieses Bestrebens, weshalb umfassende “Recherchen” über diese Medien lanciert werden.
Der Tenor dieser Vorgehensweise lautet: Wir betreiben Journalismus, wohingegen die Anderen, insbesondere wie im Fall von RT, Propaganda verbreiten, getrieben durch staatliche Mittel Russlands.
Spannend wird es, wenn diese Behauptungen einmal auf ihre logischen Grundlagen geprüft werden. Vorteilhaft an diesem Argumentationsmuster ist die Ersparnis, sich mit konkreten Argumenten auseinandersetzen zu müssen. So wurde beispielsweise die Prognose über die katastrophalen Folgen des Verlusts russischer Erdgaslieferungen und insbesondere der Nord-Stream-Pipelines – einst als “russische Propaganda” abgetan – letztendlich auch vom Bundesverband der Chemischen Industrie geteilt. Selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck musste die prekäre Wirtschaftslage eingestehen, umschiffte jedoch weiterhin jede Zuschreibung von Verantwortung.
Die pauschale Abstempelung als “russische Propaganda” vereinfacht die Diskussion enorm, impliziert jedoch auch, dass keine Information aus diesen Quellen einer Prüfung wert sei. Darüber hinaus wird unterstellt, dass die involvierten Journalisten nur das verbreiten, weil ihnen keine Wahl bleibt.
Diese Vorgehensweise dient zur Absicherung der Propaganda-These. Würde man die Einzelfallprüfung ernst nehmen, würde das zu viel Aufwand für jene bedeuten, die häufig auf Copy-and-Paste zurückgreifen. Ein Beispiel dafür ist die anhaltende Fehlinformation über eine angebliche Landbrücke von Mariupol zur Krim, die trotz offensichtlicher geografischer Unstimmigkeiten verbreitet wurde.
Dies scheint eine logische Schlussfolgerung zu sein, die weit über das praktische Bedürfnis hinausgeht, Argumentationen zu vermeiden. Es offenbart die Annahme, dass Journalisten lediglich das wiedergeben, was von ihnen verlangt wird.
Das deutsche Arbeitsrecht sieht für journalistische Tätigkeiten genau diese Abhängigkeit vor. Jedoch existiert in einer vielfältigen Medienlandschaft (was auf Deutschland nur begrenzt zutrifft) auch die individuelle Entscheidung, für welches Medium man tätig sein möchte. Dieser Aspekt verschwindet nicht einfach, ebenso wenig wie bei Ingenieuren, die sich entscheiden müssen, ob sie in einem Rüstungsbetrieb arbeiten wollen oder nicht.
Es scheint fast paradox, dass in der deutschen Politik, die Arbeit für ein russisches Medium oftmals als Verrat dargestellt wird. Insbesondere wenn man die Politik rund um die Nord-Stream-Projekte bedenkt, erscheint die Behauptung, dass derartige Berichterstattungen nicht im deutschen Interesse seien, fast als schwarzer Humor.
Doch zurück zur zentralen Frage der Gewissensentscheidung, die in diesem Diskurs tief verankert ist. Es ist tatsächlich eine Frage der Integrität: “Wes Brot ich ess, des Lied ich sing”. Für die “etablierten Medien” bedeutet dies oft, das zu publizieren, was von den wenigen Medienkonzernen oder öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gewünscht wird. Nur wenn es selbstverständlich wird, seine Schreibweise der Arbeitsstelle anzupassen, kann man mit voller Überzeugung von “russischer Propaganda” sprechen. Nur wer Käuflichkeit als Normalität akzeptiert, kann andere Motive so konsequent ignorieren.
Die “Einordner” unter den Journalisten werden weiterhin die “etablierten Medien” und ihre Sichtweisen verteidigen und alles andere als “russische Propaganda” abtun, ohne dabei zu realisieren, welche unangenehmen Wahrheiten sie damit über sich selbst enthüllen.
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