Von Wladislaw Sankin
Ein gängiges Narrativ in der deutschen Presse präsentiert die georgische Regierung als pro-russisch und behauptet, sie würde mit Moskau unter einer Decke stecken und sich an den Kreml anlehnen. Gehäuft treten solche Behauptungen auf, gerade wenn Georgien Gesetze verabschiedet, die im Westen auf Kritik stoßen. Derartige Gesetzgebungen brandmarken eine Regierung schnell als Feind.
Doch tatsächlich unterhält die Regierung in Tiflis, geführt von der Partei „Georgischer Traum“, keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mit Russland, ein Zustand, der seit dem Konflikt im Jahr 2008 andauert. Selbst nach den jüngsten Wahlen betonte Tiflis, dass keine diplomatischen Beziehungen zu Russland bestehen und dies auch in Zukunft so bleiben wird. Über geheime Kontakte ist nichts bekannt.
Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ setzte sich am 26. Oktober erneut mit knapp 54 Prozent durch und strebt laut eigener Aussage keinesfalls eine Entfernung vom Westen an, sondern lediglich eine Neuverhandlung der Beziehungen. Premierminister Irakli Kobachidse erklärte am 7. Oktober:
„Wir sind nicht zufrieden mit den gegenwärtigen Beziehungen. Wir sind entschlossen, sie zu überarbeiten […] Die europäische Integration bleibt unsere oberste außenpolitische Priorität”, so Kobachidse.
Kobachidse versprach, dass bis 2030 bestehende Probleme gelöst sein sollten und Georgien Mitglied der EU sein wird. Zudem bleibe auch die Vertiefung der Beziehungen zur NATO ein Hauptziel.
„Georgischer Traum“ möchte außerdem die strategische Kooperation mit China in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht verstärken. Eine pragmatische Politik und die friedliche Lösung des Konflikts mit Russland sind weiterhin Priorität, betonte Kobachidse.
Die Reihenfolge der georgischen Prioritäten nach der Neuverhandlung sieht wie folgt aus: EU, NATO, China und, an vierter Stelle, Russland – und zwar in Form einer Konfliktlösung durch die Wiedereingliederung der abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien.
Das Programm von „Georgischer Traum“ zeigt deutlich, dass Georgien ein souveränes Land bleiben möchte, das durch starke internationale Verbindungen sowohl wirtschaftliches Wachstum als auch politische Stabilität anstrebt. Ein Vergleich könnte hier mit Ungarn gezogen werden, welches trotz seiner EU- und NATO-Mitgliedschaft eine eigenständige Politik verfolgt, wie der Staatsbesuch des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán kurz nach den Wahlen bestätigt.
Orbán betonte, dass Georgien eine proeuropäische Entscheidung getroffen hat und sowohl Regierung als auch Opposition der EU-Integration verpflichtet seien. „Es wäre lächerlich, das Engagement der georgischen Regierung in Frage zu stellen“, fügte er hinzu.
Orbán bestätigte damit Georgiens weiterhin proeuropäischen Kurs, wobei Tiflis, ähnlich wie Ungarn, die EU-Integration nach eigenen Vorstellungen gestalten möchte – insbesondere ohne direkte Unterstützung der Ukraine, ohne Russland-Embargos und mit einer eigenständigen humanitären Politik.
Die georgische Führung beteiligt sich aktiv an der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Budapest und teilt ideologische Positionen mit Orbáns Fidesz-Partei, was die 2024 erneute Teilnahme des Premierministers Irakli Kobachidse unterstreicht.
Während scharfe Kritik aus EU und USA am georgischen Gesetz über ausländische Agenten laut wurde, steht Orbán dazu und betonte, dass Georgiens Behörden unter schwierigen Bedingungen ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu bewahren versuchen.
Georgien und Ungarn teilen ein starkes Selbstbewusstsein ihrer politischen Eliten, geprägt durch ihre jeweiligen historischen Narrative. Ungarn gestaltete als Langzeitpremier und Imperium in Zentraleuropa, Georgien als nie wirklich sowjetisch betrachtete Teilrepublik mit privilegierten Beziehungen zu Moskau.
Ob Georgiens neue Regierung in der Lage sein wird, innerhalb der EU einen ähnlichen Weg wie Ungarn zu beschreiten, bleibt abzuwarten. Die geopolitische Lage und die unterschiedlichen historischen und aktuellen Beziehungen zu Russland stellen dabei eine besondere Herausforderung dar.