Von Alex Männer
Die Ukraine sieht sich im Konflikt mit Russland trotz ihrer anspruchsvollen militärischen Zielsetzungen zunehmend schweren Herausforderungen gegenüber. Die Verteidigungsstrategien im Donbass sind mittlerweile so geschwächt, dass ein Kollaps der ukrainischen Streitkräfte vor dem russischen Vormarsch droht.
Erhebliche Rückschläge in den letzten Monaten, wie der Verlust der als “uneinnehmbare Festung” bezeichneten Stadt Ugledar, verdeutlichen die prekäre Lage, in der sich die Ukraine befindet. Diese Stadt, noch vor dem Kriegsausbruch 2022 stark befestigt, konnte nicht verteidigt werden.
Mehrere Faktoren tragen zur rückläufigen Situation bei, darunter nach Meinung von Militärexperten das unzureichende Management der ukrainischen Militärführung, Mangel an Waffen und Munition sowie eine niedrige Kampfmoral. Zusätzlich verschärft sich die Lage durch eine Zunahme von Desertionen und unerlaubtem Entfernen von Truppen, wie berichtet wird.
Laut einem Bericht der Deutschen Welle von August hat die Ukraine in der ersten Jahreshälfte 2024 beinahe 30.000 neue Strafverfahren wegen Desertion eingeleitet – ein signifikanter Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren.
Massive Desertionen und Verweigerungen von Befehlen
Die zunehmende Zahl der Desertionen lässt sich nicht mehr von der ukrainischen Politik ignorieren. Die Rada-Abgeordnete Anna Skorochod schätzt, dass sich etwa 100.000 Soldaten eigenmächtig von den Truppen entfernt haben, mit steigender Tendenz.
Als Ursache nennt Skorochod Fehler in der Führungsebene des Militärs. Viele Offiziere träfen demoralisierende, falsche Entscheidungen und setzten Soldaten mit unzureichender militärischer Ausbildung an vordersten Fronten ein, was zusätzlich den Frust unter den Truppen steigert.
General Sergei Kriwonos, Vize-Kommandeur der ukrainischen Spezialkräfte, und Stanislaw Krawtschenko, Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs der Ukraine, bestätigen das Problem der massiven Desertionen und der Befehlsverweigerungen. Laut Kriwonos erreichen nur etwa zehn Prozent der neu eingezogenen Rekruten tatsächlich die Front.
Kiew mildert Strafen für Deserteure
Unklar bleibt die genaue Anzahl der desertierten Soldaten, doch die Tatsache, dass Kiew die Strafen für zurückkehrende Deserteure gelockert hat, deutet auf die Schwere des Problems hin.
Ein Bericht der Berliner Zeitung zeigt, dass ein neu verabschiedetes Gesetz den Deserteuren 72 Stunden gibt, um zu ihrer Einheit zurückzukehren, ohne dass Sanktionen erfolgen. Dies soll die Schwelle für eine Rückkehr zur Armee senken.
Allerdings scheint eine Lösung für das Personalproblem weit entfernt. Die ukrainischen Streitkräfte sind zahlenmäßig und waffenmäßig unterlegen und die Erschöpfung der Soldaten nimmt stetig zu. Die hohe Sterberate und diese Unterlegenheit dürften dazu führen, dass sich zunehmend Soldaten gegen die Teilnahme an weiteren Kampfhandlungen entscheiden, während Russland weiterhin die Fähigkeit besitzt, viele neue Soldaten zu rekrutieren.
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