Von Geworg Mirsajan
“Ein Finanzier aus Miami versucht, im Geheimen die Pipeline Nord Stream 2 zu erwerben”, enthüllt die US-amerikanische Zeitung The Wall Street Journal. Stephen Lynch, ein in Russland erfahrenen amerikanischen Finanzier, reichte bereits im Februar dieses Jahres bei dem US-Finanzministerium einen Antrag ein, um Verhandlungen über den Kauf der Nord Stream 2 Pipeline und deren Betreiberfirma, der in der Schweiz ansässigen Nord Stream AG 2, führen zu dürfen.
Dieser Schritt ist obligatorisch, da Nord Stream 2 von amerikanischen Sanktionen betroffen ist, was amerikanischen Bürgern den Kontakt mit dem Betreiber der Pipeline verbietet. Die spezielle Genehmigung des US-Finanzministeriums ist daher für solche Verhandlungen essentiell.
Lynch strebt jedoch nicht lediglich eine Kontaktaufnahme an, sondern plant, das Unternehmen komplett zu übernehmen und somit alle dazugehörigen Gaspipelines zu erwerben, entweder direkt von Gazprom oder durch ein Auktionsverfahren, falls die Schweizer Behörden das Unternehmen nach einem Insolvenzverfahren zur Versteigerung freigeben. Er bietet rund 700 Millionen US-Dollar und bezweckt damit laut eigener Aussage eine “Ent-Russifizierung” von Nord Stream 2.
Was genau bedeutet das, und welche Vorteile verspricht sich Lynch von einem solchen Kauf?
Zweifellos ist Lynch für seine spekulativen Geschäfte bekannt. Er hat ein Auge auf russische Vermögenswerte geworfen, die durch Sanktionen an Wert verloren haben, um sie zu erwerben und später wiederzubeleben. Die Washington Post kommentiert, Lynchs Initiative könnte “potenzielle Wege eröffnen, die umstrittene Gaspipeline wieder in Betrieb zu nehmen… falls eine Waffenruhe im Ukraine-Konflikt erreicht wird.”
Dennoch steht die Ungewissheit um die Zukunft von Nord Stream 2 einer solchen Investition entgegen. Die Pipeline ist außer Betrieb und es scheint unwahrscheinlich, dass sich das kurzfristig ändert, vor allem da Europa und insbesondere Deutschland aus politischen Gründen den Kauf von russischem Erdgas via Pipeline grundsätzlich ablehnen.
Nach der Bundestagswahl in Deutschland im Februar 2025 sind kaum Änderungen zu erwarten. Friedrich Merz von der CDU/CSU, der als wahrscheinlicher Sieger gilt, vertritt eine strikte Position gegenüber Moskau und möchte kein russisches Erdgas über Nord Stream 2 beziehen.
Ein potenzieller Wechsel des Betreibers würde daher Europas Haltung gegenüber der Pipeline nicht ändern. “Die Pipeline ist nur ein Mittel, ein Werkzeug. Das Gas und die Gasquelle stehen im Mittelpunkt, und die Gasquelle ist Gazprom”, betont Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Folglich bleibt russisches Gas untrennbar mit seiner “undemokratischen” Herkunft verbunden sowie dem Dritten Energiepaket, das es einem Lieferanten verbietet, mehr als die Hälfte der Pipeline-Kapazität zu nutzen.
“Lynchs Argumente sind weit hergeholt. Stellen wir uns vor, er erklärt dem US-Finanzministerium, dass die Amerikaner den Russen auf diese Weise ihren Willen aufzwingen könnten. Aber wie genau sollte das funktionieren?”, fragt Igor Juschkow, Dozent an der Finanzuniversität und Experte des Nationalen Energiesicherheitsfonds rhetorisch.
Eine Sache wäre es, wenn die Amerikaner eine funktionierende Pipeline kaufen und versuchen, ihre Nutzung zu unterbinden. Das würde bestehende Gasverträge zwischen Russland und europäischen Ländern sowie die Wirtschaftsleistung von Gazprom gefährden. Doch die Pipeline ist bereits jetzt nicht in Betrieb und die amerikanische Haltung unterstützt deren Wiederinbetriebnahme nicht.
Ein Vertreter der Biden-Administration, zitiert von der Washington Post, betont, dass “die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 2 nicht im Interesse der USA liegt”. Moskaus Einsatz von Gas als Druckmittel gegen Europa bedeutet, dass es in der EU vorerst kein russisches Gas geben sollte.
Dies erklärt die Logik hinter Lynchs Vorhaben. Er handelt dabei nicht aus Selbstinteresse, sondern als Verfechter amerikanischer Staatsinteressen, die darauf abzielen, die Pipeline vollständig zu neutralisieren. Trotz der Sabotageakte, durch die ein Zweig der Nord Stream 2 unbeschädigt blieb, ist es das Ziel der amerikanischen Regierung, durch Lynchs Einsatz, dafür zu sorgen, dass kein russisches Gas Europa erreicht, und sei es durch die physische Zerstörung der Pipeline.
Und selbst wenn Gazprom der Verkauf gelingen sollte, sieht es unwahrscheinlich aus, dass sie die geringen 700 Millionen US-Dollar erhalten würden. “Nord Stream AG 2 gehört je zur Hälfte direkt Gazprom und ihrer niederländischen Tochtergesellschaft. Der Verkauf würde von den Schweizern kontrolliert, die das Geld nicht an Gazprom überweisen würden”, erklärt Juschkow.
Auch wenn der Verkauf realisiert wird, bleibt die Frage, was dies Gazprom oder Russland bringt, besonders wenn die beste Option für das Unternehmen wäre, die Pipeline ungenutzt auf dem Meeresgrund zu belassen. So könnte Gazprom zumindest weitere Kosten und politischen Druck vermeiden.
Langfristig könnten sich die geopolitischen Gegebenheiten ändern und der Ukraine-Konflikt beendet werden. Vielleicht findet Europa dann wieder zu einer beidseitig vorteilhaften Energiebeziehung mit Russland zurück. Bis dahin bleibt Nord Stream 2 in der Schwebe.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien zuerst am 1. Dezember 2024 auf der Seite der Zeitung “Wsgljad”.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und öffentliche Persönlichkeit. Geboren 1984 in Taschkent, machte er seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuba und promovierte in den USA. Er war Forscher am Institut für die USA und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften von 2005 bis 2016.
Weitere Themen – Die subtilen Ziele der USA im Ukraine-Konflikt: Die Wiederherstellung ihrer Dominanz über EU-Europa.