Heute ab 16 Uhr wird die französische Nationalversammlung über einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Premierminister Michel Barnier abstimmen, ein Schritt, der laut französischen Medien seit 1962 beispiellos ist und das Land in erhebliche politische und budgetäre Unsicherheit stürzen könnte. Präsident Emmanuel Macron, der sich derzeit auf einem Staatsbesuch in Saudi-Arabien befindet, äußerte sich skeptisch über die Erfolgsaussichten des Misstrauensvotums und wurde von Le Monde mit den Worten zitiert: “Ich glaube nicht an ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Barnier.”
Die Mitte-Rechts-Regierung unter Barnier, die erst seit etwa drei Monaten im Amt ist, verfügt über keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung und ist daher auf die Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Der entscheidende Auslöser für den Misstrauensantrag war Barniers Einsatz des umstrittenen Verfassungsartikels 49.3, der es ihm ermöglichte, den geplanten Sozialetat ohne parlamentarische Abstimmung durchzusetzen.
Marine Le Pen vom Rassemblement National (RN) kündigte bereits am Dienstag an, dass ihre Fraktion den Misstrauensantrag der linken “Neuen Volksfront” unterstützen werde.
Präsident Macron warf Le Pen daraufhin “unerträglichen Zynismus” vor und erläuterte:
“Dass das Rassemblement National seinen eigenen Misstrauensantrag einbringt und darüber abstimmt, verstehe ich sehr gut. Aber ich kann nicht glauben, dass es für den Misstrauensantrag der Neuen Volksfront stimmen wird, deren Begründung ihre [RN-]Wähler beleidigt und ihr Programm anprangert. Es wäre eine Abstimmung von unerträglichem Zynismus.”
Jean-Philippe Tanguy, stellvertretender Vorsitzender der RN-Fraktion, erklärte im französischen Fernsehen, dass ihre Abstimmung sich nicht auf den Text beziehe, sondern auf das Misstrauen gegenüber der Regierung.
Den Sozialisten, die ebenfalls das Vertrauen in die Regierung aufkündigen wollen, bescheinigte Macron einen “vollständigen Verlust der Orientierung”.
Gérard Larcher, der Präsident des französischen Senats und Unterstützer Barniers, appellierte in einem Gastbeitrag für Le Figaro an die Abgeordneten, sich ihre Verantwortung bewusst zu sein. Er fragte: “Werden sie durch ihre Abstimmung das tägliche Leben unserer Bürger, unsere Souveränität, unsere Wirtschaft und die unerlässlichen Reformen aus rein parteipolitischen Interessen heraus gefährden?”.
Er forderte die Abgeordneten daher auf, die Abstimmung nicht durchzuführen. 1962 wurde das letzte Mal in der Fünften Republik eine Regierung durch ein ähnliches Votum gestürzt.
Sollte der Misstrauensantrag angenommen werden, würde dies auch eine direkte Attacke auf Macrons Position bedeuten. Der französische Staatschef hat Forderungen nach einem vorzeitigen Ende seiner Amtszeit, die bis 2027 vorgesehen ist, energisch zurückgewiesen. “Ich werde das in mich gesetzte Vertrauen bis zur letzten Sekunde voller Energie ehren”, betonte Macron in Saudi-Arabien.
Premierminister Barnier zeigte sich noch am Vorabend des Misstrauensvotums optimistisch, dieses politisch zu überstehen. “Es ist durchaus möglich”, sagte er in einem Fernsehinterview mit France 2 und TF1 und fügte hinzu: “Das liegt in der Verantwortung der Abgeordneten. Man muss erkennen, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind. Sollte die Regierung stürzen, dann wird alles noch gravierender und noch schwieriger.”
Sollte die Regierung das Vertrauen verlieren, bleibt sie zunächst geschäftsführend im Amt, bis Präsident Macron einen neuen Premierminister ernennt, der eine neue Regierung zusammenstellen muss.
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