Von Dagmar Henn
In der gegenwĂ€rtigen geopolitischen Landschaft treten manchmal Fragen auf, die tiefer liegende Themen berĂŒhren, als es anfĂ€nglich scheint. Ein prĂ€gnantes Beispiel hierfĂŒr sind Donald Trumps Bestrebungen zur Reindustrialisierung der USA.
Es liegt auf der Hand, dass eine starke Industrie die Basis fĂŒr militĂ€rische Macht darstellt. Die Vereinigten Staaten haben sich durch Deindustrialisierung diese Basis teilweise entzogen. Trumps Ziel, Chinas Aufstieg möglichst zu bremsen, verdeckt jedoch ein weit komplexeres Problem, das auch unter idealen UmstĂ€nden einer Lösung bedarf â ein Problem, auf das es derzeit keine Antworten gibt.
Das Beispiel Boeing verdeutlicht, wie utopisch es ist, fortgeschrittene Industrien zu bewahren, wenn die Basis fehlt. Dies liegt nicht nur an der begrenzten Auswahl an qualifiziertem Personal oder am weitgehend ĂŒbersehenen Aspekt, dass gerade in handwerklichen Bereichen viel Wissen informell bleibt und oft nur von Person zu Person weitergegeben wird. Es betrifft auch die Natur industrieller Produktion als gesellschaftliches System.
Man denke an klassische âdeutsche SekundĂ€rtugendenâ wie PĂŒnktlichkeit und Genauigkeit, die in der Industrie unabdingbar sind. Jemanden aus einer subsistenzorientierten Landwirtschaft herauszulösen und zu lehren, dass eine Schraube exakt 5 Millimeter Durchmesser haben muss, ist eine Herausforderung. Ohne das Konzept der Standardisierung und dessen Verinnerlichung ist komplexe Produktion kaum möglich.
Das Problem reicht jedoch tiefer. Industrielle Produktion bedeutet kollektivierte Produktion, was impliziert, dass jeder einzelne das GefĂŒhl haben muss, Teil eines gröĂeren Ganzen zu sein, um die Effizienz des Systems zu steigern. In den zeitgenössischen westlichen Gesellschaften erkennen wir diverse Entwicklungen: Das Konzept der âCorporate Identityâ wurde beispielsweise in den 1980ern eingefĂŒhrt, um die LoyalitĂ€tsbindungen, von denen die japanische Industrie profitierte, zu adaptieren, allerdings ohne die notwendige materielle Basis zu schaffen.
Zur selben Zeit wandelten sich Arbeitsstellen immer mehr zu temporĂ€ren Jobs, was angeblich FlexibilitĂ€t fördern sollte, tatsĂ€chlich jedoch die Gewerkschaften und die Möglichkeit organisierter Gegenwehr schwĂ€chte â mit negativen Auswirkungen auf die ProduktivitĂ€t des industriellen Apparates.
Boeing steht exemplarisch fĂŒr die Auflösung der Industriegesellschaft in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft mit geringer sozialer Sicherheit und technisch-handwerklicher Bildung. Ein Neuanfang scheint notwendig, doch die Strukturen sind nicht mehr dieselben wie im 19. Jahrhundert.
Es mag möglich sein, den Anteil realer industrieller Produktion zu berechnen, der notwendig ist, damit eine Gesellschaft ihre FĂ€higkeiten nicht verliert. Die Frage ist jedoch, ob spezialisiertes Wissen, wie im Flugzeugbau benötigt, unter diesen Bedingungen erhalten bleiben kann. Trumps Forderungen haben also einen berechtigten Kern: Wir benötigen ausreichend Industrie, um unser gesellschaftliches Niveau zu halten. Dieses Problem wĂŒrde auch bestehen bleiben, selbst wenn globale Dispute und Konkurrenzen beigelegt wĂ€ren.
Die Diskussion um Automatisierung und “Industrie 4.0” zeigt, dass der Schritt zur vollstĂ€ndigen Automatisierung von Produktionssystemen noch weit entfernt ist. Hierbei entstehen neue Herausforderungen, wie die Sicherstellung qualifizierter Wartungstechniker fĂŒr hochautomatisierte Systeme und der Umgang mit einer potentiell degenerierenden Gesellschaft.
Anzumerken ist, dass das Erreichen einer fortgeschrittenen industriellen Produktion und deren globale Verteilung weitere Fragen hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit aufwirft. Besonders herausfordernd wird es, weniger entwickelten Regionen wie weiten Teilen Afrikas eine industrielle Entwicklung zu ermöglichen, ohne anderswo unter kritische Schwellenwerte zu fallen.
Donald Trumps Politik mag wenig intuitiv erscheinen, doch sie berĂŒhrt zentrale Fragen der zukĂŒnftigen globalen Verteilung industrieller KapazitĂ€ten. Diese Probleme, so abstrakt sie auch erscheinen mögen, sind essentiell und verlangen nach frĂŒhzeitigem, problembewusstem Denken. Denn die Freiheit und das Gleichgewicht in einer globalisierten Welt entstehen nicht selbstlĂ€ufig, selbst unter idealen materiellen Voraussetzungen.
Mehr zum Thema – Energie, Industrie und Zusammenbruch â ein Blick in eine mögliche Zukunft, Teil 1