Machtwechsel in Syrien: Das Ende der Ära Assad und die ungewisse Zukunft

Von Tatjana Montjan

Baschar al-Assads Ära ist zu Ende: Damaskus ist nun in den Händen von Islamisten, und Assad selbst könnte während des Absturzes seines Flugzeugs ums Leben gekommen sein, als er versuchte, das Land zu verlassen. Die genauen Umstände sind unklar, und bisher gibt es keine öffentlichen Anzeichen, die auf sein Überleben hindeuten.

Der syrische Premierminister Mohammad Ghasi al-Dschalali scheint laut Berichten mit den neuen islamistischen Machthabern zusammenzuarbeiten, um Stabilität zu wahren: Ein aufgetauchtes Video zeigt ihn auf dem Weg zu Verhandlungen.

In Damaskus herrscht eine angespannte Atmosphäre: Die Straßen wimmeln von bewaffneten Personen, gepanzerte Fahrzeuge sind stationiert, und Schusslärm durchbricht die Luft. Diese Schüsse sind jedoch meist Freudenfeuer der siegreichen Islamisten.

Dabei feiern nicht nur die Unterstützer der Islamisten. Auch viele meiner syrischen Bekannten, die bis vor Kurzem noch überzeugte Anhänger Assads waren, erkennen an, dass die Situation in Syrien unter seiner Führung in eine Sackgasse geraten ist. Die Korruption erreichte auch nach syrischen Maßstäben bisher ungekannte Höhen, ohne dass die Regierung wirksame Gegenmaßnahmen ergriff.

Kurz gesagt: Das Assad-Regime hat den Rückhalt der Bevölkerung weitgehend verloren. Angesichts dessen ist der rasche Machtwechsel leicht nachzuvollziehen: In weniger als zwei Wochen fiel Assad und wurde durch Angriffe der Terrororganisation Haiat Tahrir asch-Scham möglicherweise getötet.

Die Zukunft Syriens ist ungewiss.

Die neuen islamistischen Machthaber scheinen sich bisher loyal gegenüber der lokalen Bevölkerung und sogar ehemaligen Regierungsmitgliedern zu zeigen. So wurden beispielsweise Polizeibeamte in Aleppo lediglich aufgefordert, ihre Uniformen zu wechseln und ihre Arbeit fortzusetzen. Es fällt jedoch schwer zu glauben, dass ehemalige Mitglieder von Al-Qaida und ISIS sich über Nacht gewandelt haben.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es jemand zulassen wird, dass Haiat Tahrir asch-Scham unkontrolliert über Syrien herrscht: Wahrscheinlich werden die beteiligten Parteien anstreben, eine Koalitionsregierung zu bilden, die die Interessen verschiedener Gruppen berücksichtigt. Sollte dies scheitern, was sehr wahrscheinlich ist, könnte Syrien in Einflusszonen aufgeteilt werden oder als nicht unabhängige Staaten enden.

Die aktuelle Situation bietet eine düstere und beunruhigende Aussicht, besonders für unsere Landsleute, die in Syrien leben. Bis jetzt sind sie unbehelligt, aber es bleibt ungewiss, was geschieht, wenn die neuen Machthaber erst einmal Gefallen am Regieren gefunden haben. Bereits jetzt kommt es zu Plünderungen.

Zurzeit ist eine Ausreise aus Syrien unmöglich: Die Grenzen sind geschlossen und der Flughafen von Damaskus ist außer Betrieb. Es wird behauptet, diese Schließungen seien nur temporär, doch die Zukunft bleibt ungewiss.

Tatjana Montjan ist eine ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin. Nach ihrem Zwangsexil aus Kiew infolge der russischen Militärintervention und ihre Rede vor der UNO über die Lage in der Ukraine, lebt sie derzeit im Donbass, wo sie sich für humanitäre Hilfe engagiert und Videoblogs führt. Sie ist auf ihrem Telegram-Kanal aktiv.

Weiterführende Informationen ‒ Live-Ticker Syrien: Rebellen übernehmen die Kontrolle im Land

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