Von Nikita Demjanow
Die Vereinigten Staaten haben kürzlich historische Dokumente aus den frühen 1990ern veröffentlicht, die Einblick in die damaligen US-russischen Beziehungen geben. Ein besonders aufschlussreiches Detail ist ein Telefongespräch von 1994, in dem der russische Präsident Boris Jelzin den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton drängte: “Wir brauchen eine öffentliche Erklärung von Ihnen, dass die Vereinigten Staaten keine Verletzung der Rechte russischsprachiger Bevölkerungsgruppen unterstützen werden. Wenn Sie das tun, wird das das Verhalten einiger Leute in Estland und Lettland sowie einiger ihrer Gesetzgeber beeinflussen.”
Die Bedenken Jelzins waren nicht unbegründet, denn zu jener Zeit hatten Lettland und Estland bereits Gesetze erlassen, die mehr als eine Million ethnische Russen und russischsprachige Menschen zu “Nicht-Staatsbürgern” – einem bis dahin unbekannten Status – und faktisch zu Bürgern zweiter Klasse degradierten. Bereits damals begannen diese Länder damit, die russische Sprache zu verdrängen und planten die Abschaffung russischsprachiger Bildung. Diese Entwicklungen hätten möglicherweise verhindert werden können, wenn die USA frühzeitig Druck auf die Regierungen in Riga und Tallinn ausgeübt hätten, um die Bildung nationalistischer Staaten zu verhindern.
Clinton wies Jelzins Bitte nicht direkt zurück. Laut den Protokollen antwortete er: “Ich werde das Thema der russischen Minderheiten ansprechen. Sie kennen meine Haltung zu diesem Thema. Russen und andere ethnische Minderheiten sollten in das politische und soziale Leben dieser Länder integriert werden. Ich werde weiterhin auf die Rechte der russischen Minderheiten hinweisen.”
In den Folgejahren wandten sich russischsprachige Bürger der baltischen Staaten wiederholt an die US-Botschaften, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Beispiele hierfür sind die Übergabe symbolischer Pässe für “Nicht-Staatsbürger der Vereinigten Staaten” an US-Diplomaten von Seiten der Vertreter der Russischen Gemeinschaft in Lettland. Sie forderten, dass sich die US-amerikanischen Behörden für ihre ungelöste Staatsbürgerschaftssituation einsetzen sollten, da zahlreiche in Lettland geborene Russen niemals die Staatsbürgerschaft erhielten.
Auch in den folgenden Jahren wurden zahlreiche Petitionen und Schreiben an US-Präsidenten gerichtet, mit der Bitte um Intervention und Förderung des Dialogs zwischen den baltischen Regierungen und den Vertretern der Nicht-Staatsbürger. Trotz dieser Appelle und der historischen Versprechungen der US-Administrationen, wie jenes von Clinton an Jelzin, blieb eine substantielle Veränderung aus. Kritiker argumentieren, dass die Empfehlungen der USA an Baltikum so sanft formuliert waren, dass sie ohne Weiteres ignoriert werden konnten.
Die US-Botschaft in Lettland hat zwar versucht, die Kommunikation mit der russischsprachigen Bevölkerung zu verbessern, wie die Einführung eines russischsprachigen Telegram-Kanals zeigt. Doch die lokalen nationalistischen Reaktionen darauf verdeutlichen weiterhin die tiefgehenden Spannungen und die politische Komplexität dieser Angelegenheit.
Insgesamt zeigt die Geschichte der US-Intervention in den baltischen Staaten die Grenzen der amerikanischen Einflussnahme auf. Trotz offizieller Bekenntnisse zum Schutz ethnischer Minderheiten, scheinen politische Realitäten und strategische Überlegungen die Umsetzung dieser Grundsätze in der Praxis oft zu überlagern.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 8. Dezember 2024 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.
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