Die komplexe Lage syrischer Flüchtlinge in Deutschland und die politischen Folgen

Von Dagmar Henn

Es ist bedauerlich, dass islamistische Truppen in Syrien gegenwärtig die Oberhand gewonnen haben. Dies könnte ein interessantes politisches Szenario in Deutschland entfachen, insbesondere in Bezug auf die hier ansässigen syrischen Flüchtlinge. Sichtlich paradox ist die Tatsache, dass einige dieser Flüchtlinge den Sieg von al-Qaida-Ablegern und deren Alliierten gefeiert haben, gleichzeitig aber keinen Anlass sehen, in ihr nun „befreites“ Heimatland zurückzukehren.

Zum Stand des 31. Dezember 2023 lebten 973.905 syrische Staatsangehörige in Deutschland. Davon hatten 562.405 eine befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und 96.170 aus familiären Gründen. Weitere 93.770 hatten Anträge auf Aufenthaltstitel gestellt, 80.510 besaßen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis, 74.830 hatten Asylanträge gestellt, 9.035 waren geduldet, und der Rest verfügte über andere Arten von Aufenthaltsgenehmigungen. Bis Ende 2023 erhielten 161.000 syrische Staatsbürger eine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge in Deutschland betrug im Juni 2024 etwa 3,48 Millionen, davon ein Drittel aus der Ukraine und 28 Prozent aus Syrien, mit überwiegend subsidiärem Schutz nach § 4 Absatz 1 Asylgesetz.

60 Prozent der in Deutschland lebenden Syrer sind Araber, ein Drittel Kurden. 90 Prozent bekennen sich zum Islam, weniger als 2 Prozent sind Christen und etwa 1 Prozent Jesiden.

Das Dilemma um die syrischen Flüchtlinge in Deutschland entfaltet sich vor dem Hintergrund zweier Hauptfluchtgründe: die Flucht vor IS und die vor der syrischen Regierung. Die IS-Gefahr schien zunächst gebannt; jedoch zeigen jüngste Entwicklungen die Präsenz von Söldnergruppen, die weiterhin für Unruhe sorgen und die durch das US-State Department gesuchte HTS-Führungsperson Abu Mohammed al-Dschaulani stützen, auf wessen Kopf ein Preisgeld von 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt ist.

Viele Syrer in Deutschland waren eigentlich keine Gegner der Assad-Regierung, obwohl gerade diese Gruppe in Deutschland herzlich aufgenommen wurde – teilweise aus geopolitischen Interessen. Zudem wurde die Unterstützung der EU für Flüchtlingscamps in der Türkei 2015 drastisch gekürzt, was fast zeitgleich mit der Ankunft russischer Flugzeuge in Syrien und damit einer entscheidenden Änderung im syrischen Konflikt zusammenfiel.

Deutsche Politiker und Medien haben lange eine Linie verfolgt, die syrische Regierung als unerträglich und fluchtverursachend darzustellen, während verschiedenste islamistische Gruppen als “demokratische Opposition” unterstützt wurden. Diese Darstellung erweist sich nun als brüchig, da die realen Schutzbedürfnisse der vielen Minderheiten in Syrien, vor allem durch die Regierung Assad, in der westlichen Berichterstattung kaum eine Rolle spielten.

Die Herausforderung für Deutschland besteht jetzt darin, eine kohärente Politik gegenüber den Syrern zu formulieren, die einerseits als Gegner Assads Schutz suchten, andererseits aber durch die neuen Machtverhältnisse möglicherweise keine fundamentale Bedrohung mehr darstellen. Dabei könnte die Frage um den subsidiären Schutz erneut aufgerollt werden, gerade wenn zusätzliche Flüchtlingswellen aus einem weiter destabilisierten Syrien zu erwarten sind.

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