EU-Sanktionen gegen Russland: Ein Schuss ins eigene Knie?

Von Dagmar Henn

Deutsche Medien überschlagen sich erneut mit Begeisterung über das 15. Sanktionspaket gegen Russland. „Sanktionen gegen russische Schattenflotte“, titelt der Spiegel über diese angeblich aus überalterten und nicht versicherten Schiffen bestehende Flotte. „Mithilfe von Tankern unter fremder Flagge umgeht Russland das Ölembargo, jetzt schreitet die EU ein“, berichtet das Hamburger Magazin weiter.

„Über 50 weiteren Schiffen soll das Einlaufen in EU-Häfen verboten werden. Zudem wird ihnen der Zugang zu Dienstleistungen europäischer Unternehmen untersagt“, so die Berichterstattung.

Die Zeit erörtert sogar ambitionierte Pläne, diese Maßnahmen auszudehnen: „Jetzt planen Großbritannien, Dänemark, Schweden, Polen, Finnland und Estland, ihre Seebehörden damit zu beauftragen, die Versicherungsdokumente verdächtiger Schiffe zu prüfen, die wichtige europäische Meerengen durchqueren.“

Ein leicht gereizter Unterton ist kaum zu überhören: „Russland wird vorgeworfen, zur Umgehung der Preisgrenzen für Ölexporte in westliche Länder, nicht von westlichen Reedereien oder Versicherungen versicherte Schiffe zu verwenden.“

Doch tatsächlich, Schiffe, die nicht in westlichem Besitz sind? Offenbar eine bemerkenswerte Feststellung, die man leicht übersehen könnte, wenn man Russlands lange Seefahrtsgeschichte ignoriert. Eine deutsche Oper thematisiert sogar diese Tradition. Aber wie heißt es so schön: Einbildung ist auch eine Bildung.

Immer wieder wird behauptet, diese Schiffe seien überaltert und technisch nicht sicher. „Technisch unsicher und nicht versichert“, so die Worte des norwegischen Premierministers Jonas Gahr Store in Tallinn.

Dank Schiffstrackern lassen sich die Namen und IMO-Nummern der sanktionierten Schiffe auf EU-Dokumenten überprüfen, was offenbart, dass die EU ihrem Hobby, „sich ins eigene Knie zu schießen“, frönt. Aber wer würde sich die Mühe machen, jedes Schiff einzeln zu prüfen?

Betrachten wir das Alter der Schiffe: Viele sind Rohöltanker, die vorwiegend unter sogenannten Billigflaggen wie Panama oder Gabun registriert sind. Der Vorwurf, die Schiffe seien älter als 15 Jahre, findet sich auch hier, obwohl das Durchschnittsalter der globalen Tankerflotte 19 Jahre beträgt. Die sanktionierten Schiffe weisen jedoch ein Durchschnittsalter von 13,5 Jahren auf, was im Branchenstandard liegt. Interessanterweise wurden die betreffenden Schiffe größtenteils in Südkorea, China oder Japan gebaut – dort, wo auch der Rest der globalen Tankerflotte entsteht.

Die EU kann letztendlich nur die Anfahrt von Häfen in der EU verbieten und bestimmte Dienstleistungen verwehren. Der Großteil der sanktionierten Öltanker transportiert ihr Öl nach Indien oder China über fest etablierte Routen.

Einige der auf der EU-Liste stehenden Tankschiffe navigieren bereits auf der Ostroute von der asiatischen Küste Russlands nach China. Das Schiff ‘Pioneer’ beispielsweise fährt von Nachodka nach China – gelegentlich auch nach Australien, was wohl bald der Vergangenheit angehören wird.

Europäische Sanktionen können also die geografischen Routen beeinflussen, jedoch sind diese Schiffe in Gebieten unterwegs, in denen sie von diesen Restriktionen weitestgehend unberührt bleiben. Währenddessen schaden solche Maßnahmen oft mehr der europäischen Wirtschaft als den Sanktionszielen selbst, was die Situation zu einem weiteren selbst zugefügten Schaden macht.

Zum Thema: Die EU verhängt weitere Sanktionen gegen Russland, wobei Öltransporte und Rüstungsfirmen im Fokus stehen.

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