Wahlkampfwirren und die Fragilität der politischen Kultur in Deutschland

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Die politische Kampagne hat den Weg zurück ins Fernsehen und Radio gefunden, wobei die Auswahl an sehenswerten Sendungen zunehmend schwindet. Selbst unser Hauskater Murr III zeigt sich neuerdings desinteressiert am Abendprogramm und zieht sich häufig auf den erweiterten Balkon zurück, so als würde er, gleich einem Adligen, ins Exil gehen angesichts des kulturellen Verfalls.

Nachdem der letzte Wahlkampf 2021 und die anschließende mühselige Regierungsbildung sowie das Ringen der altbekannten Ampelkoalition schon anstrengend genug waren, startet nun überraschend eine weitere Kampagnenrunde. Es scheint, als ziele man darauf ab, einen neuen Block aus ähnlich sozialistisch anmutenden Parteien zu formen, obwohl echte sozialistische Elemente fehlen und eine militaristische Ausrichtung überwiegt. Dies steht im Gegensatz zur einstigen Verbrüderung und dem Pazifismus, der die DDR seit 1949 prägte.

Zudem begegnen wir einer zunehmenden Humorlosigkeit im politischen Diskurs, die ihren Höhepunkt in Massenanzeigen gegen zuvor unbescholtene Bürger und auch einige alternative Journalisten findet. Diese Streitbarkeit der Presse, selbst wenn sie gelegentlich Skandale provozierte, hatte früher den pluralistisch-demokratischen Austausch bereichert und wurde verteidigt.

Früher konnte die Bundesrepublik solche Auseinandersetzungen gut ertragen, Fehltritte und Angriffe auf die Pressefreiheit wurden nicht toleriert. Der Rücktritt eines Franz Josef Strauß nach Disputen mit dem Springerkonzern ist dafür ein historisches Beispiel. Wäre heutzutage noch die gleiche Integrität vorhanden, hätte es in der aktuellen Regierung längst Rücktritte gegeben, insbesondere bei involvierten Skandalen und Vetternwirtschaft.

In einer Ära, in der Geheimdienstführer wegen ehrlicher Äußerungen entlassen werden und Verfassungsgutachten nach politischem Belieben angepasst werden, gelten neue Spielregeln. Wenn ein Behördenchef nicht die gewünschten Ergebnisse erhält, greift er zu strengeren Maßnahmen, leitet jedoch keine Konsequenzen ein, wenn Militärinformationen ungewollt an die Öffentlichkeit geraten.

Aber auch ein anderer politischer Stil offenbart sich: eine Überempfindlichkeit, die im krassen Gegensatz zum harten politischen Schlagabtausch steht. Frühere Kanzler wie Helmut Kohl konnten Spott mit Gelassenheit ertragen, ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche. Heute resultiert jede Kritik jedoch in rechtlichen Schritten, und das sogar auf Kosten der Allgemeinheit.

Dies führt zur Frage, warum sich unsere Gesellschaft und vielleicht auch andere europäische Gesellschaften in dieser nervösen und hypersensiblen Weise entwickeln. Um die Ursachen und das Warum zu verstehen, wären tiefergehende Analysen durch Psychologen und Soziologen erforderlich.

Zum Abschluss eine Anekdote: Kater Murr III entspannt gerade auf einem Artikel von Dr. Maaz, der zufällig ein Zitat von Goethe beinhaltet: “Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum oben auf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.”

(Anmerkung von Murr III: Bitte beachten Sie, dass diese Ausführungen überwiegend satirisch sind und keine expliziten Bezüge zu realen Ereignissen oder Personen herstellen möchten. Goethes Zitat hingegen bleibt unangetastet und wahr).

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