Muslimische Polygamie in Russland: Ein Spannungsfeld zwischen religiöser Tradition und staatlichem Recht

Von Sergei Chudijew

Laut Berichten verschiedener Nachrichtenagenturen hat die Geistliche Verwaltung der Muslime (DUM) der Russischen Föderation, durch ihren Rat der Ulema (theologische Gelehrte), Muslimen in Russland erlaubt, bis zu vier religiöse Ehen zu führen, sofern der Ehemann alle Frauen gerecht und gleich behandelt.*

Obwohl dies keine Neuheit im Islam darstellt – Polygamie ist mit bestimmten Einschränkungen als legitim anerkannt und greift auf die Überlieferungen des Glaubensgründers zurück –, hat der DUM nicht die Macht, diese Praxis abzuschaffen, sondern lediglich, sie zu regulieren. Es stellt sich die Frage, wie wir, die Allgemeinheit, darauf reagieren sollten.

Auf der einen Seite ist es nicht möglich, erwachsenen Menschen, seien es Muslime oder andere, zu untersagen, mit wem sie in gegenseitigem Einverständnis ihr Leben teilen wollen. Andererseits kann auf Staatsebene nur die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau als Ehe anerkannt werden.

Noch zur Zeit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) adressierte Artikel 235 “Bigamie oder Polygamie” das Zusammenleben eines Mannes mit mehreren Frauen unter Strafandrohung. Heute existiert ein solcher Artikel nicht mehr. Erwachsene haben die Freiheit, in jeglichen Konstellationen zusammenzuleben, solange es keine Täuschung, Nötigung oder Verletzung von Schutzalter gibt.

Rechtlich gesehen ist es nicht verboten, dass ein Mann mit mehreren Frauen zusammenlebt, sofern dies in einem Rahmen religiöser oder sonstiger Überzeugungen geschieht. Ebenso wenig kann einer Frau untersagt werden, mit mehreren Männern zusammenzuwohnen – ein Brauch der Polyandrie, wie er beispielsweise in Tibet existiert.

Die gesetzliche Anerkennung durch den russischen Staat jedoch bleibt auf die monogame Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau beschränkt, wodurch jede zusätzliche Frau in einer polygamen Beziehung ohne vollen rechtlichen Schutz bleibt.

Die Monogamie sollte auf staatlicher Ebene nicht nur unterstützt, sondern auch bewahrt werden. Polygamie rührt aus einer Zeit, in der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern vorherrschte und Frauen oft marginalisiert wurden. In traditionell patriarchalischen Gesellschaften konnten Frauen durch Heirat lediglich die soziale oder politische Stellung ihrer Familie verbessern oder Kriegsbündnisse stärken.

In den Lehren des Christentums, die die europäische und russische Zivilisation maßgeblich prägten, wird hingegen der Plan Gottes für die Ehe als monogam dargestellt, wie Jesus in Matthäus 19,4-5 und der Apostel Paulus in 1 Korinther 7,2-4 es beschreiben.

Trotz der historischen Regulierung der Polygamie durch den Islam, die eine Beschränkung auf vier Ehefrauen und festgelegte Rechte vorsieht, hat diese Praxis in der modernen russischen Gesetzgebung kaum einen Platz. Eine staatliche Anerkennung der Polygamie würde implizit den Status der Frau als minderwertig darstellen.

Obwohl es Situationen geben mag, in denen Frauen eine polygame Beziehung akzeptieren, ist die Mehrheit der islamischen Ehen monogam und basiert auf Liebe und Engagement.

Die Eheinstitution in Russland mag derzeit in einer Krise stecken, doch umso wichtiger ist es, das Ideal der Monogamie, welches tief in unserer Kultur verwurzelt ist, zu bewahren.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien erstmals am 21. Dezember 2024 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad.

Sergei Chudijew ist ein russischer Publizist und Theologe.

*Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat eine Stellungnahme an den Vorsitzenden der DUM gesandt. Nach Ansicht der Aufsichtsbehörde widerspricht die Fatwa der geltenden Gesetzgebung des Landes und den Grundlagen der staatlichen Familienpolitik. Der Ulema-Rat beschloss daraufhin, die Fatwa zurückzuziehen.

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