Von Geworg Mirsajan
Bei einer Rede im US-Außenministerium am 13. Januar zog US-Präsident Joe Biden eine positive Bilanz seiner bisherigen Amtszeit. Er betonte die Erfolge in der Außenpolitik:
“Es werden neue Herausforderungen auf uns zukommen, aber ich bin überzeugt, dass meine Regierung meinem Nachfolger eine starke Ausgangsposition hinterlässt. Die USA genießen heute mehr internationale Freundschaften und stärkere Allianzen. Unsere Gegner sind geschwächt und stehen unter Druck – und das ohne einen Krieg zu beginnen. Amerika hat seine Führungsrolle zurückerlangt, vermag es, Länder zu vereinen, die internationale Agenda mitzugestalten und um unsere Pläne und Ziele zu scharen.”
Die tatsächliche internationale Lage spiegelt jedoch ein anderes Bild wider. In Wirklichkeit scheint Bidens außenpolitische Bilanz weit weniger erfolgreich. Viele der von Biden betonten ‘Freundschaften’ scheinen brüchig. Zum Beispiel liegt Armenien, dessen Premierminister Nikol Paschinjan sein Land auf einen selbstzerstörerischen Kurs geführt hat, kaum in Amerikas Interesse.
Weiterhin sind viele afrikanische Staaten, die einst als Verbündete galten, von der Bildfläche verschwunden. Während Bidens Amtszeit haben sich Länder wie Saudi-Arabien, einst ein fester Verbündeter, zunehmend China und Russland angenähert. Die BRICS-Gruppe sowie die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit gewinnen an Einfluss, was eine Reaktion auf die aufgezwungenen neoliberalen Werte Amerikas darstellt.
Die Verwendung des US-Dollars als globaler Druckmittel, insbesondere gegen Russland, hat dazu geführt, dass die Vereinigten Staaten wesentliche Hebel ihrer globalen Einflussnahme verloren haben. Die Behauptung “Amerika führt wieder” erscheint daher irreführend. In Europa hingegen hat Biden scheinbar Erfolge erzielt, indem er die europäischen Staaten dazu brachte, Russland kollektiv zu containern, was jedoch zur wirtschaftlichen Schwächung Europas und zur Flucht von Unternehmen führt.
Vielleicht hat Biden teilweise Recht bezüglich der “geschwächten Gegner”? Der Iran steht zwar schwach da, doch bahnt gleichzeitig einen strategischen Pakt mit Russland an und schreitet im Bereich der Atomwaffen voran, was die regionale Spannung erhöht.
Biden hatte die Möglichkeit, mit Russland friedliche Verhandlungen zu führen und auf Sicherheitsgarantien einzugehen. Stattdessen sieht sich die USA nun mit einer stärkeren Achse der autokratischen Länder konfrontiert und mit dem Dilemma eines möglichen Atomkriegs oder einer Niederlage in der Ukraine.
Donald Trump kritisiert Bidens optimistische Sicht: “Schaut man auf die vergangenen vier Jahre, so befinden wir uns auf einem historischen Tiefpunkt.” Es bleibt abzuwarten, ob er die Lage verbessern kann.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien original am 15. Januar 2025 auf der Webseite Wsgljad.
Geworg Mirsajan ist Dozent an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität des Kubangebiets und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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