Von Rüdiger Rauls
Doppelzüngig
Seit 2012 unterhält Deutschland keine diplomatische Präsenz mehr in Syrien. Der Abbruch diplomatischer Beziehungen war eine Antwort auf die brutale Unterdrückung von Demonstrationen durch den syrischen Staatschef Assad und seine Sicherheitskräfte. Parallel dazu verhängte der politische Westen strenge Sanktionen gegen Syrien, die über die Jahre hinweg fortlaufend erneuert und verschärft wurden. Diese Sanktionen zielten nicht nur auf staatliche und militärische Führungskräfte ab, sondern beeinträchtigten massiv die Grundversorgung der Bevölkerung und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
“Das Bruttoinlandsprodukt Syriens ist von 61,4 Milliarden Dollar im Jahr 2010 auf unter neun Milliarden Dollar im vergangenen Jahr gefallen, ein Rückgang um 85 Prozent”, berichtete die FAZ am 21. Dezember 2024. Die Maßnahmen zielten erkennbar darauf ab, durch das Erzeugen von Not einen innenpolitischen Druck auf Assad auszuüben.
Insbesondere der Ausschluss des syrischen Bankensektors aus dem internationalen Zahlungsverkehr verschärfte den wirtschaftlichen Rückgang erheblich. Selbst der Handel mit nicht sanktionierten Waren wurde durch die Unsicherheit westlicher Banken bezüglich der Legalität von Transaktionen erschwert, sodass viele den Zahlungsverkehr mit syrischen Banken einstellten.
Ähnliche Entwicklungen wie in Syrien gab es auch in Ägypten während des Arabischen Frühlings. Hier kam es ebenfalls zu massiven Demonstrationen, auf die das Militär gewaltsam reagierte. Trotz der Unterstützung des damaligen Präsidenten Mubarak durch den Westen musste dieser letztendlich abdanken, während Assad sich in Syrien halten konnte. Der Westen hatte in beiden Fällen auf “das falsche Pferd gesetzt”.
Die Muslimbruderschaft, die den Aufstand gegen Mubarak wesentlich mittrug, wurde später vom Westen ebenso abgelehnt wie die HTS (Haiat Tahrir asch-Scham) in Syrien. Dennoch wurde 2012 der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, in Ägypten demokratisch gewählt.
Zwiespältig
Das ägyptische Militär pputschte jedoch gegen Mursi und General as-Sisi übernahm die Macht. Währenddessen tolerierte der Westen das Vorgehen gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten, kritisierte aber die Wahl Assads 2014 als undemokratisch. Trotz möglicher Manipulationen war Assad vermutlich stärker legitimiert als as-Sisi, der sich die Macht durch Gewaltanwendung sicherte.
In Ägypten begrüßte der Westen die Zerschlagung der Muslimbruderschaft, unterstützt jedoch paradoxerweise die islamistische HTS in Syrien. Solch eine Doppelmoral offenbart eine wil BusinessLock reageierte auf die eigenen Interessen und nicht die Rechtmäßigkeit von Wahlen oder Herrschaftsformen.
Wie westliche Politiker oft zeigen, sind ihre Entscheidungen nicht immer rational, sondern manchmal von Emotionen geleitet. Beispielhaft sind die umfangreichen Sanktionen gegen Russland und andere Staaten, die häufig auch die eigene Wirtschaft schädigen.
Deutschland und die EU setzen an, politischen Einfluss in Syrien mit dem Verlangen nach Schließung russischer Stützpunkte zurückzugewinnen, was wenig Sinn ergibt und nur neue Spannungen schafft.
Die Reaktionen im Syrienkonflikt zeigen zudem, dass Europa und der Westen keine Vorreiterrolle mehr spielen. Andere Akteure wie die Türkei, arabische Staaten und China sind bereit, ihre Position auszubauen, während westliche Mächte mit internen und globalen Herausforderungen kämpfen.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er führt den Blog Politische Analyse.
Mehr zum Thema – Der Westen und Syriens islamistische Gruppierungen