In Aserbaidschan hat am Freitag der Gerichtsprozess gegen den russisch-armenischen Geschäftsmann Ruben Wardanjan begonnen, der von November 2022 bis September 2023 als führender Politiker der damals nach Unabhängigkeit strebenden Region Bergkarabach tätig war. Neben Wardanjan stehen 14 weitere ehemalige Regierungsmitglieder dieser Region, die mittlerweile wieder unter aserbaidschanischer Kontrolle steht, vor Gericht.
Vor Prozessbeginn teilte Wardanjans Familie mit, dass er im Laufe der eineinhalbjährigen Untersuchungen keine Aussagen gemacht, keine Vernehmungsprotokolle unterschrieben und keinen angemessenen Zugang zu den Gerichtsakten erhalten habe. Wardanjan beteuert seine Unschuld.
Wardanjan, 1968 in Jerewan geboren, zog mit 17 Jahren nach Moskau, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Dort lebte und arbeitete er bis 2022. Nach 1990 machte er als Börsenbroker Karriere und erlangte Vermögen, besonders nachdem die russische Sberbank 2011 seine internationale Brokergesellschaft erwarb. Bekannt wurde er danach auch als Mäzen.
2022 gab Wardanjan seine russische Staatsbürgerschaft auf, um sich politisch in Bergkarabach zu engagieren. Nach der militärischen Niederlage und der Übernahme der Region durch Aserbaidschan wurde er am 27. September 2023 festgenommen, als er versuchte, nach Armenien zu flüchten, und befindet sich seither in Haft.
International wird der Fall kontrovers diskutiert. Rechtsexperten argumentieren, dass Bergkarabach seit dem Bürgerkriegsende 1994 bis zur Eroberung im Herbst 2023 als „stabilisiertes De-facto-Regime“ agierte, mit begrenzter völkerrechtlicher Anerkennung. Die strafrechtliche Verfolgung seiner Amtsträger durch Aserbaidschan verletze das Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie es in der UN-Charta verankert ist.
Wardanjans Rolle beinhaltete auch die Übernahme von Verwaltungsaufgaben in humanitärem Interesse, nachdem zwischen Baku und Jerewan unter russischer Vermittlung ein gewisser Status für die Region ausgehandelt wurde.
In der Anklageschrift werden ihm und den Mitangeklagten schwerwiegende Delikte wie Kriegsverbrechen und Terrorismus vorgeworfen, die im Zusammenhang mit der Verteidigung und dem Bestehen Bergkarabachs stehen.
Fast 37 Jahre zuvor hatte der damals zu Aserbaidschan gehörende, vornehmlich armenisch besiedelte Bergkarabach seine Unabhängigkeit erklärt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und einem bewaffneten Konflikt mit Aserbaidschan existierte die Region lange als international nicht anerkannte Republik. Auch Armenien hatte die Unabhängigkeit Bergkarabachs nie anerkannt.
Im September 2020 eskalierten die Feindseligkeiten erneut durch aserbaidschanische militärische Aggressionen. Unter russischer Vermittlung erreichten beide Seiten schließlich im November 2020 einen Waffenstillstand. Armenien verlor dabei alle angrenzenden Gebiete. Russische Friedenstruppen wurden daraufhin in der Region stationiert.
Im Jahr 2022 begannen Verhandlungen unter Vermittlung Russlands, der USA und der EU über einen Friedensvertrag. Ende Mai 2023 signalisierte der armenische Premierminister Nikol Paschinjan Bereitschaft, die Souveränität Aserbaidschans anzuerkennen, woraufhin Aserbaidschan Bergkarabach vollständig einnahm.
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