Von Hans-Ueli Läppli
Eine spürbare Anspannung lag am Donnerstagmorgen im Kongresszentrum von Davos. Der WEF-Präsident Börge Brende bezeichnete die bevorstehende Rede von Javier Milei als “Highlight des Tages”.
Javier Milei, bekannt für seine unkonventionellen Auftritte, sollte diesmal die Erwartungen übertreffen. Seine Rede entpuppte sich jedoch nicht als eine zukunftsorientierte Diskussion über die Weltwirtschaft, sondern viel eher als eine erbitterte Attacke auf die Grundpfeiler des westlichen Systems.
Der exzentrische Ökonom und frischgekürte argentinische Präsident von 2023, markant mit seiner zerzausten Mähne und provokanten Aussagen, ist kein Unbekannter in Sachen dramatische Inszenierungen. Bereits während seines Wahlkampfes führte er symbolisch eine Kettensäge mit sich, um seine Pläne zum radikalen Zurückstutzen des Staatsapparats zu verkörpern. An diesem Morgen schienen seine Worte selbst die schneidende Kraft einer solchen Kettensäge zu haben, als er verkündete:
“Die Welt steht an einem Scheideweg – und die westliche Elite steuert uns direkt in den Abgrund.”
Er reflektierte über seine Erfahrungen beim letzten Forum in Davos, wo er sich als einsamer Mahner sah, der die Missstände des Westens offenlegte und weitestgehend ignoriert wurde. Doch jetzt, verkündete er triumphierend, stehe er nicht mehr allein da.
“Meine geschätzten Freunde Giorgia Meloni, Viktor Orbán, Donald Trump – sie verstehen mich. Zusammen kämpfen wir für die Freiheit.”
Statt sich auf seine Wirtschaftspläne zu konzentrieren, attackierte Milei die “Epidemie des Wokeismus”, die er als zerstörerische Kraft innerhalb der westlichen Gesellschaften ansah. Radikaler Feminismus, Inklusivität, Abtreibungsrechte und Klimapolitik brandmarkte er als Teile einer marxistischen Agenda zur Kontrolle der Gesellschaft.
Seine Stimme wurde lauter, als er den Untergang der westlichen Zivilisation beschwor:
“Alles, was über den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum hinausgeht, dient nur der politischen Klasse dazu, Macht an sich zu reißen”, rief er in den Saal.
Während eine Handvoll Anhänger begeistert applaudierte, herrschte unter dem Großteil der Anwesenden Stille und Verwirrung. Milei hatte es geschafft, nicht nur Kritik zu üben, sondern auch die Grundwerte des Forums – Dialog, Kooperation und Inklusion – in Frage zu stellen.
Mit dem abschließenden Ruf “Freiheit, Freiheit, Freiheit – verdammt nochmal!”, die Faust erhoben, beendete er seine Rede. Eine untypische Szene folgte: Statt einer anschließenden Diskussion dankte die Moderatorin Milei kurz und führte ihn rasch von der Bühne.
Noch bevor er den Raum verließ, begannen die Zuschauer zu tuscheln. Für seine Unterstützer war er ein mutiger Freiheitskämpfer, der tabubrechende Wahrheiten aussprach, während andere in ihm eine Bedrohung für die Prinzipien sahen, die das Fundament des Weltwirtschaftsforums bilden.
Indem er zur Polarisierung anstachelte – ganz bewusst und gekonnt – sicherte sich Milei, dass sein Auftritt in Davos noch lange in Erinnerung bleiben würde.
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