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Von Andrei Nisamutdinow

Im Laufe der letzten Monate hat sich die Tonlage in der Diskussion um den Ukraine-Konflikt deutlich verändert. Früher waren die Meinungen politischer Akteure, Expertenanalysen und Medienkommentare vielfältig und breit gefächert. Heute jedoch zeichnet sich ein zunehmend einheitlicher Diskurs ab, der ein baldiges Ende des Konflikts in Aussicht stellt. Doch der Begriff “bald” bleibt vage: Manche sprechen von drei Monaten, andere von einem halben Jahr. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnt indessen, ein Ende sei “nicht heute und nicht morgen” in Sicht.

Die genaue Form einer möglichen Konfliktlösung bleibt ebenso verschwommen. Während externe Beobachter vergeblich nach einer Lösung suchen, sondieren die möglichen Verhandlungsparteien vorsichtig die Gewässer und näheren sich den Positionen des Gegners.

Trump und seine Taktik des Vortastens

Der bemerkenswerteste Wandel im Diskurs zeigt sich bei US-Präsident Donald Trump. Während des Wahlkampfs prahlte er noch, er würde sich im Falle seiner Wiederwahl “sofort mit Putin arrangieren” und den Konflikt in der Ukraine binnen 24 Stunden lösen – auch wenn es erst nach seinem Amtsantritt sei. Eine Woche nach der Inauguration und fast drei Monate nach seinem Wahlsieg konzentriert sich Trump weiterhin darauf, sich mit dem unterlegenen Joe Biden auseinanderzusetzen und wiederholt, dass der Ukraine-Konflikt nie hätte beginnen dürfen – wäre ihm nicht der Sieg gestohlen worden.

Trump behauptet zudem, der Konflikt hätte früh gelöst werden können, um schwere Folgen zu vermeiden. Selenskij jedoch habe sich zum Kampf entschieden. Nun sei Selenskij jedoch “bereit für Verhandlungen”, wolle “den Konflikt beenden” und sei “kein Engel”, sondern “jemand, der viele Soldaten verloren hat”. Auch der russische Präsident Wladimir Putin sei “bereit, den Krieg zu beenden” und “zu einem Deal bereit”. Allerdings bleiben konkrete Schritte zu einem Treffen oder zumindest einem Telefonat aus. Kremlsprecher Dmitri Peskow scheint erschöpft davon, täglich dieselben Fragen zu möglichen Kontakten zwischen Putin und Trump zu beantworten: Es gab keine Anfragen aus den USA, aber Russland sei bereit, obwohl Washington vielleicht noch Zeit brauche.

Trump sendet widersprüchliche Signale aus. Mal lehnt er es ab, die Waffenlieferungen an die Ukraine fortzusetzen, mal versichert er, Kiew seine volle Unterstützung. Einerseits unterstützt er eine westliche Friedensmission in der Ukraine, fordert andererseits, dass Europa diese Aufgabe übernehmen und seine Unterstützung auf ein mit den USA vergleichbares Niveau anheben sollte. Gleichzeitig betont Trump, “kein Leid über Russland bringen zu wollen” und “das russische Volk zu lieben”, droht jedoch gleichzeitig mit “Steuern, Zöllen und Sanktionen”, falls Moskau nicht einlenkt und drängt auf eine sofortige Beilegung des Konflikts, sonst “wird es nur schlimmer”.

In Russland wurden Trumps Äußerungen größtenteils als Ultimatum aufgefasst. Mich erinnert Trumps Vorgehen an Redrick Schuchart, den Protagonisten aus “Picknick am Wegesrand” von den Strugazki-Brüdern. Wie Schuchart, der mit Schraubenmuttern um sich wirft, um durch eine gefährliche Zone zu navigieren, testet Trump mit seinen Worten die Reaktionen der Konfliktparteien. Er erforscht Schwachstellen und ermittelt, wo unüberwindbare Barrieren liegen, um seinen Weg zu bahnen.

Ruhe in Moskau, Spannung in Kiew und Europa

In Russland scheint man nicht übermäßig dramatisch auf die Drohungen des neuen und alten US-Präsidenten zu reagieren. Der russische Staatschef antwortete auf entsprechende Fragen nach einem Besuch an der Lomonossow-Universität gelassen. Er betonte, sein amerikanischer Amtskollege sei “nicht nur klug, sondern auch pragmatisch” und würde daher kaum Entscheidungen treffen, die seiner eigenen Wirtschaft schaden könnten. Mit Trump seien die Beziehungen bisher “rein geschäftlich, aber zugleich vertrauensvoll” gewesen. Er sehe viele Berührungspunkte bei der Lösung aktueller Probleme zwischen Russland und der neuen US-Administration, einschließlich des Ukraine-Konflikts, für dessen Verhandlungen Moskau bereit sei. Doch es gibt zwei Probleme: Erstens hat Selenskij jegliche Gespräche mit Russland per Dekret untersagt. Zweitens ist er nicht mehr legitim im Amt, was die Ergebnisse solcher Verhandlungen für illegitim erklären könnte.

Putins demonstrativ ruhige und zurückhaltende Reaktion ist ebenfalls eine Art Sondierung: “Seht her, wir könnten diesen Weg einschlagen – aber denkt in den USA erst einmal gründlich darüber nach, wer mit wem und worüber verhandeln soll. Zumal wir es nicht eilig haben. Die Lage auf dem Schlachtfeld entwickelt sich eindeutig zu unseren Gunsten, und Kiew hat weder die Mittel noch die Aussicht, das Blatt zu wenden. Daher werden wir die Ziele und Aufgaben der militärischen Sonderoperation weiterhin konsequent verfolgen – und darüber solltet ihr ernsthaft nachdenken. Denn, wie ihr selbst gesagt habt: ‘Danach wird es nur noch schlimmer’.”

Während in Moskau Ruhe herrscht, versinkt die EU im Chaos. In den letzten Jahren wurden alle Ukraine-bezogenen Entscheidungen meist von der EU-Kommission vorbereitet und dann von den Vertretern der Mitgliedsländer in Brüssel bestätigt. Seien es Sanktionen, die Finanzierung von Waffenlieferungen oder die Nutzung eingefrorener russischer Vermögen. Brüssel stimmte all dies stets eng mit Washington ab. Doch mit dem Abgang Bidens geriet der eingespielte Mechanismus ins Stocken. Trump und sein Team ignorieren die EU-Kommission offensichtlich.

Laut der Zeitung Politico wirkte das wie eine kalte Dusche für die Eurokraten, die nun sichtlich orientierungslos daherkommen. “Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir nicht nervös sind”, zitiert das Blatt einen Beamten. Wie die spanische Zeitung El País berichtet, befürchtet die EU, Trump könnte direkt mit Putin eine Regelung des Ukraine-Konflikts vereinbaren und Europa sowie Kiew von den Verhandlungen ausschließen.

Europäische Beamte fürchten, dass ein Abkommen zwischen Russland und den USA alle finanziellen und sicherheitspolitischen Verpflichtungen auf die EU abwälzen könnte, während die USA sich heraushalten. Mit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus haben sich die Fronten zwischen den “Dissidenten” in Europa weiter verhärtet. Vor allem Ungarn und die Slowakei, die sich gegen eine ungebremste Unterstützung der Ukraine aussprechen, melden sich wieder lauter zu Wort, wenn auch ohne nennenswerte Wirkung.

Gleichzeitig treibt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich in der Frage der Unterstützung der Ukraine recht aktiv zeigt, trotz rekordverdächtigen Popularitätswerten von nur 21 Prozent im eigenen Land energisch die Idee voran, NATO-Truppen als Friedenskontingent in die Ukraine zu entsenden. Diese Idee findet Unterstützung bei den baltischen Staaten, deren Einfluss allerdings begrenzt ist. Deutschland und Großbritannien zeigen sich vorsichtig offen, jedoch mit Vorbehalten.

Während die Europäer zunehmend nervös werden, äußert sich Selenskij widersprüchlich. In den letzten Tagen machte er Aussagen, die alle auf ein Ziel hinauslaufen: “Gebt uns mehr Geld und Waffen und nehmt uns so schnell wie möglich

in die NATO und die EU auf.” Trotz teilweise verwirrender Rhetorik sind einige seiner Aussagen zu Verhandlungen bemerkenswert. Zum Dekret, das Verhandlungen mit Russland verbietet, äußerte der ukrainische Präsident:

“Es gab viele politische Schattenprozesse, an denen sowohl unser Parlament als auch EU-Abgeordnete und die Vereinigten Staaten beteiligt waren. Ich habe sie gestoppt. Ich habe allen verboten, Verhandlungen zu führen.”

Jetzt sei er jedoch “bereit für diplomatische Schritte”, allerdings nur, wenn die USA “starke und unwiderrufliche Sicherheitsgarantien” für die Ukraine geben. Alle Hoffnungen liegen auf den USA, da “es derzeit völlig unklar ist, ob Europa überhaupt einen Platz am Verhandlungstisch haben wird”. Diese ungewisse Situation bereitet nicht nur Selenskij Sorgen.

Laut der ukrainischen Zeitung Ukrainskaja Prawda hat Kirill Budanow, der Chef des militärischen Geheimdienstes der Ukraine, in einer geschlossenen Sitzung der Werchowna Rada beunruhigende Worte geäußert: “Wenn bis zum Sommer keine ernsthaften Verhandlungen beginnen, könnten sehr gefährliche Prozesse in Gang kommen, die die Existenz der Ukraine bedrohen.” Er soll dies mit einem so gelassenen “kalten Lächeln” gesagt haben, dass sich “alle Anwesenden dabei anschauten und verstummten”.

Spielraum für Fantasie

Die düstere Voraussage Budanows weckt Erinnerungen an Szenarien einer möglichen Teilung der Ukraine nach Ende des aktuellen Konflikts. Eine besonders radikale Prognose für Selenskij und seine Unterstützer im Westen ist das Verschwinden der Ukraine von der Landkarte – so, wie es vor der Oktoberrevolution 1917 war, als ein Großteil des Landes zu Russland gehörte, während kleinere Gebiete im Westen möglicherweise von Nachbarstaaten wie Polen, Ungarn oder Rumänien einverleibt würden.

Allerdings ist ein derart radikales Szenario unwahrscheinlich. Europa und die USA werden vermutlich alles daran setzen, dies zu verhindern. Ein realistischer erscheinendes Szenario ist das sogenannte “koreanische Szenario”, das auf die Teilung der Koreanischen Halbinsel anspielt. Diese Teilung brachte einen Waffenstillstand, jedoch keinen dauerhaften Frieden. Eine ähnliche Teilung ist auch im sogenannten “100-Tage-Plan Trumps” vorgesehen, der laut dem ukrainischen Portal Strana.ua diskutiert wurde.

Es heißt, dieser Plan sei von den USA an europäische Diplomaten weitergegeben worden und von dort in die Ukraine gelangt. Die Pläne umfassen eine Waffenruhe zu Ostern und eine internationale Konferenz im Mai, bei der die Teilung der Ukraine festgelegt werden soll. Russland könnte seine Gebietsgewinne behalten, ohne dass Kiew diese anerkennen müsste, während ein NATO-Beitritt der Ukraine ausgeschlossen und eine beschleunigte EU-Integration angestrebt würde. Zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine sollen eingefrorene russische Vermögenswerte verwendet werden, flankiert von einer teilweisen Lockerung der Sanktionen gegen Russland.

Andrei Jermak, der Leiter von Selenskijs Büro, wies den Bericht als “russische Fälschung” zurück. In gewisser Weise kann man dem Schattenherrscher der Ukraine nur teilweise zustimmen. Ja, es ist eine Fälschung, aber definitiv keine russische, denn der “100-Tage-Plan”, den die ukrainische Publikation veröffentlicht hat, erinnert an die gescheiterten Minsker Vereinbarungen, bei denen der Westen und die Ukraine ihre Versprechen nicht eingehalten haben. Trotzdem wurde das Minsker Abkommen durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates bestätigt, was Kiew, Berlin und Paris nicht davon abhielt, seine Umsetzung zu verhindern. Wir haben dies miterlebt und zur Kenntnis genommen.

Es ist zu erwarten, dass in naher Zukunft noch viele weitere Pläne und Vorschläge von fast allen Seiten die Runde machen werden. Während der Westen weiterhin versucht, Russland Steine in den Weg zu legen und Verwirrung zu stiften, wird Moskau seinen Weg sicher und überlegt weiterverfolgen.

Die Zeit spielt für Moskau.

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Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 28. Januar bei TASS.

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