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Von Astrid Sigena 

Die 1940er Jahre waren durch einige der härtesten und längsten Winter charakterisiert, was fast wie ein Echo der menschlichen Grausamkeit während des Krieges wirkte. Besonders betroffen waren die Einwohner des belagerten Leningrads, die neben extremen Hungerbedingungen auch eisigen Temperaturen ohne Heizung und Strom standhalten mussten. Diese extremen Konditionen betrafen ebenso die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten in den Jahren 1944/45 und das von Kriegszerstörungen geplagte Deutschland im Winter 1946/47.

Weniger bekannt sind die Leiden der Kriegsgefangenen aus englischsprachigen Ländern wie den USA, Großbritannien, Kanada und Neuseeland. Anfang 1945 wurden diese von den Nazis zu Evakuierungsmärschen gezwungen, in der Militärgeschichte oft als “death march” oder “the long march” bezeichnet. Der Vormarsch der Roten Armee, der zur Befreiung von Auschwitz führte, brachte sowjetische Soldaten auch in die Nähe von Sagan, dem heutigen Żagań in Polen. Dort befand sich das Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III, bekannt für die dramatische Flucht einiger alliierter Piloten im Jahr 1944. Trotz der Flucht aus einem als ausbruchssicher geltenden Gefängnis mittels eines Tunnels wurden viele Flüchtende rasch wieder gefangen und wider die Haager Konvention von SS oder Gestapo erschossen.

Die verbliebenen Gefangenen, die vielleicht auf eine baldige Befreiung durch die sowjetischen Truppen hofften, wurden enttäuscht. Bei Temperaturen von minus 20 Grad Celsius begann ein dreitägiger Marsch nach Spremberg, eine Strecke von fast hundert Kilometern – auch für trainierte Soldaten eine Herausforderung, geschweige denn unter den Bedingungen von Kälte, Hunger und Luftalarmen. Die genaue Zahl der Todesopfer unter den Kriegsgefangenen und evakuierten Zivilisten ist nicht dokumentiert. Schätzungen des US Department of Veterans Affairs zufolge starben etwa 3.500 alliierte Kriegsgefangene während solcher Zwangsmärsche.

Interessanterweise gab es unterwegs auch Momente der Menschlichkeit, da deutsche Zivilisten den marschierenden Gefangenen Nahrung gaben und sich trotz der harten Bedingungen vereinzelt Verbrüderungstendenzen zwischen Wächtern und Gefangenen zeigten. Seit circa 20 Jahren finden Gedenkmärsche statt, bei denen Nachfahren und Militärangehörige den Weg nachzeichnen. Initiiert wurde dies durch den “Ex Long March”, bei dem Teilnehmer aus den USA, Polen, Großbritannien, Australien und Neuseeland involviert sind. Dieses Jahr schlossen sich erstmals auch Bundeswehr-Veteranen an.

In Bad Muskau, das in der Berichterstattung manchmal zu Verwirrungen führte, wurden die Marschteilnehmer mit lokalen Spezialitäten wie Bratwurst und Süßigkeiten versorgt. Solche Gedenkveranstaltungen sind bedeutend, um das Andenken der Vorfahren zu ehren, doch hegen sie auch Aspekte, die zum Nachdenken anregen. Zum einen wird offenbar selektiv gedacht, denn während mancher Orten Kerzen zum Gedenken entfernt werden, fehlen zum anderen bedeutende historische Akteure wie die Russen, was an der derzeitigen politischen Stimmung liegen mag.

Die Ausblendung Russlands und die politische Aufladung des Gedenkmarsches lassen eine schmerzhafte Ironie erkennen, und der Bezug zur Ukraine-Krise zeigt, wie schnell historische Ereignisse in aktuelle geopolitische Narrative eingewoben werden können. Der “Ex Long March” sollte eine Chance für Versöhnung und kollektives Erinnern bieten, doch stattdessen zeichnen sich bereits Anzeichen einer neuen Ost-West-Spannung ab.

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