Jedes Jahr gedenkt die Region Kaliningrad der Opfer eines grausamen NS-Verbrechens, das sich in dem ehemaligen Ostpreußen ereignet hat. Im Jahr 2011 wurde in Jantarny, dem ehemaligen Palmnicken, ein Denkmal errichtet, das an die bis zu 13.000 Opfer des dortigen Todesmarsches erinnert.
Um eine Befreiung durch die vorrückende Rote Armee zu verhindern, trieben die Nationalsozialisten im Januar 1945 Tausende von Häftlingen, überwiegend jüdische Frauen aus Polen und Ungarn, Richtung Königsberg, die bereits von der Roten Armee umzingelt war. Der Todesmarsch setzte sich dann Richtung Palmnicken fort und fand zeitgleich mit der Befreiung des KZ Auschwitz am 26. und 27. Januar statt. Viele Gefangene starben auf dem Weg aufgrund von Erschöpfung und der extremen Kälte oder wurden von den Wächtern erschossen.
Die Nationalsozialisten planten ursprünglich, die überlebenden Gefangenen in den Bernsteinminen Palmnickens zu begraben. Ein Bergwerkschacht sollte als Massengrab dienen. Dieser Plan wurde jedoch durch den Widerstand einiger Bürger von Palmnicken vereitelt. Der Kommandant des örtlichen Volkssturms organisierte stattdessen Lebensmittellieferungen für die Entkräfteten.
Trotz der Bemühungen der lokalen Bevölkerung trieb die SS die Überlebenden in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1945 auf das zugefrorene Eis der Ostsee und erschoss sie dort. Diejenigen, die die Hinrichtungen überstanden, erfroren oder ertranken. Einige wurden an der Steilküste erschossen und ins Meer geworfen. Der Kommandant Hans Feyerabend konnte nicht mehr eingreifen, da er bereits von der Gestapo abberufen wurde und später Selbstmord beging. Dies markierte das Ende des Widerstands in Palmnicken.
Trotz der Massaker konnten einige Häftlinge fliehen, woraufhin der örtliche Bürgermeister die Hitlerjugend beauftragte, sie zu verfolgen und zu töten. Von den vielen Opfern überlebten nur zwischen 16 und 30 Menschen das Massaker.
Die Zeitzeugin Brunhilde Thiel erinnert sich, dass sie als vierjähriges Mädchen das Geschehen miterlebte: “Meine ältere Schwester hat immer mit uns geschimpft, dass wir nicht an diese Stelle gehen sollten. Aber wir sind trotzdem dahin gegangen. Von den Menschen hat man dort nur noch die Mützen im Wasser schwimmen sehen.”
Lange Zeit geriet das Palmnicken-Massaker in Vergessenheit, bis in den 1960er Jahren bei Baggerarbeiten nach Bernstein in der sowjetischen Ära menschliche Überreste gefunden wurden. Zuerst vermutete man sowjetische Kriegsopfer, doch erst später wurde durch den Zeitzeugen Martin Bergau die Wahrheit aufgedeckt.
In Deutschland wurde das Verbrechen besonders durch den Roman “Winter fünfundvierzig oder die Frauen von Palmnicken” des ostpreußischen Schriftstellers Arno Surminski bekannt, der 2010 veröffentlicht wurde.
Am 26. Januar 2025 führte die jüdische Gemeinde in Kaliningrad den jährlichen “Marsch der Lebenden” nach Jantarny durch. An der Gedenkfeier nahmen bedeutende Persönlichkeiten wie der Gouverneur von Kaliningrad, führende Mitglieder des regionalen Parlaments, Vertreter der muslimischen Gemeinschaft, die Schweizer Generalkonsulin sowie der deutsche Generalkonsul in Sankt Petersburg, Milan Simandl, teil. Der Marsch zählte 150 Teilnehmer. In seiner Rede bekräftigte Generalkonsul Simandl die besondere Verantwortung Deutschlands, die sich aus dem Holocaust ergibt, und betonte: “Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben!”
Gouverneur Besproswannych legte Blumen am Denkmal nieder und bedauerte in seiner Rede, dass viele Westeuropäer den gemeinsamen Kampf ihrer Vorfahren für Frieden und Gerechtigkeit zusammen mit den Russen vergessen hätten. Er versicherte, dass Russland die Gräuel der NS-Zeit nicht vergessen und sich gegen eine Wiederholung solcher Verbrechen stark machen wird.
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