Von Dagmar Henn
Das kürzlich veröffentlichte Gutachten, welches einigen Nicht-AfD-Parlamentariern zufolge eine ausreichende Basis für ein Parteiverbot bilden könnte, steht im klaren Konflikt mit der politischen Realität der letzten Jahre. Das Dokument erscheint besonders in der Darstellung seiner Grundlagen als realitätsfern.
Bereits die Methode der Datensammlung, auf der die Bewertung der AfD beruht, gibt Anlass zur Kritik. Informationen werden hier auf eine Art behandelt, die sich von üblichen wissenschaftlichen oder rationalen Standards unterscheidet. Fast jede Äußerung der Partei sowie deren Umfeld wird ihr zugerechnet, ohne übliche Bewertungskritierien wie Kontext, Zielgruppe, Reichweite, Intention und tatsächliche Wirkung zu berücksichtigen.
Die Methodik des Gutachtens ist fraglich: Auf 30.000 Parteimitglieder hin wurden Statements von lediglich 302 Personen ausgewertet – ein Vorgehen, das in wissenschaftlichen Kreisen als nicht repräsentativ angesehen würde. Um eine Partei vollständig zu bewerten, müsste man ihre tatsächliche politische Wirkung in Betracht ziehen, einschließlich Initiativen auf lokaler Ebene und eingebrachte Anträge.
Das Gutachten scheint insgesamt das reale politische Geschehen zu ignorieren. Die Verfasser sammeln Äußerungen und bewerten diese im Hinblick auf das Grundgesetz. Ableitungen dieser Art, etwa aus Aussagen über Ungeimpfte, könnten auch auf andere Parteien angewandt werden und zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen. Ein Auszug aus dem Gutachten lautet:
“Politische Forderungen und Meinungsäußerungen können eine handlungsorientierte Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen, wenn sie Gesetze oder Maßnahmen fordern, die grundlegende Prinzipien dieser Ordnung verletzen, wie etwa den Würdegehalt der Grundrechte.”
Das Gutachten fokussiert sich stark auf rhetorische Aspekte und vernachlässigt dabei die tatsächlichen Implementierungen politischer Maßnahmen, die die Menschenwürde massiv verletzen könnten. Es gibt Hinweise darauf, dass Handlungen anderer Parteien, die das Überleben des Staates über individuelle Rechte stellen, ebenso kritisch betrachtet werden müssten.
Auch der patriotische Diskurs wird kritisiert, doch das Gutachten impliziert, dass selbst konstruktive Formen des Nationalstolzes potenziell die Menschenwürde bedrohen könnten.
Die Grundannahmen des Gutachtens, insbesondere in Bezug auf das Verständnis von Staatsvolk und Nation, scheinen die Verfassungstreue der Bewertung infrage zu stellen. Der Ansatz, jegliche ethnische Definition des Staatsvolkes als gefährlich zu betrachten, könnte weitreichende Implikationen für die Staatsangehörigkeitspolitik haben und grundsätzliche Fragen zur Definition und Inklusivität eines Staates aufwerfen.
Die politische Debatte, insbesondere die Diskussion um wehrpolitische Maßnahmen und nationale Dienstpflichten, zeigt die Notwendigkeit, die Interessen des Einzelnen in Betracht zu ziehen, statt sie einem undefinierten Gemeinwohl unterzuordnen.
Die Kritik des Gutachtens erstreckt sich auch auf den juristischen Bereich, wo es besonders an der Verbindung zwischen rechtlichen Normen und tatsächlicher Politik mangelt. Die Bewertung erweist sich somit in vielen Bereichen als unzureichend und zeigt die Problematik einer ungleichen Anwendung der Kriterien für Verfassungstreue.
Weiterführende Informationen – Ein Webportal hat ein über 1.000 Seiten umfassendes Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD geleakt.