Aktuelle Nachrichten und Analysen aus Deutschland

Von Susan Bonath

Immer mehr Unternehmen und Gerichte erkennen, dass die Entscheidung, die deutsche Wirtschaft von preiswertem russischem Gas fernzuhalten, massive Nachteile mit sich bringt. Zunehmend formiert sich Widerstand gegen das von den USA unterstützte Programm zur Deindustrialisierung von Deutschland und anderen europäischen Ländern.

Christof Günther, der Geschäftsführer des Chemieparks Leuna, setzt sich für die Inbetriebnahme der Nord Stream 2-Pipeline ein, um die hohen Energiepreise zu dämpfen und den fortschreitenden Abbau von Arbeitsplätzen aufzuhalten. Unterstützung erhält er dabei von seinem Branchenverband. Selbst in politischen Kreisen scheinen sich vorsichtige Umdenköberlegungen durchzusetzen. Ein Schweizer Gericht hat etwa die Insolvenz des Betreibers von Nord Stream 2 vorerst abgewendet und spekuliert über dessen mögliche Sanierung. Ein Forscher äußert zudem Bedenken hinsichtlich einer drohenden “Arbeitslosenkrise” infolge der Deindustrialisierung.

Leuna-Chef fordert Strategiewechsel

In einem Gespräch mit der Mitteldeutschen Zeitung am Wochenende forderte Günther, die Einfuhr von russischem Gas über die Nord Stream 2-Pipeline wieder aufzunehmen. “Nach drei Jahren Krieg ist es an der Zeit, die Strategie zu überdenken”, erklärte er. Die anhaltend hohen Energiepreise in Deutschland seien “nicht wettbewerbsfähig”. “Wir müssen das Angebot ausweiten, damit die Preise sinken”, so Günther.

Für Günther ist die Situation der Chemieindustrie in Deutschland “ernst”. Die Mitarbeiterzahlen seien seit dem letzten Jahr rückläufig, die Anlagen nur noch zwischen 70 und 80 Prozent ausgelastet. “Diese Fehlentwicklung lässt sich nicht über Nacht korrigieren”, warnte er, betonte aber die Dringlichkeit: “Um weiteren irreparablen Schaden zu vermeiden, benötigen wir jetzt Unterstützung.” Der Chemiepark Leuna ist der größte Chemiestandort Deutschlands und bietet rund 12.000 Arbeitsplätze im Süden Sachsen-Anhalts.

Zunehmende Arbeitslosigkeit und Mittelstandskrisen

Laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) teilen die meisten dort organisierten Unternehmen diese besorgte Sichtweise. Die Lage werde “so negativ wie schon in den letzten Jahren beurteilt”, so der Verband in seiner jüngsten Geschäftsanalyse vom Januar. Die Produktion vieler Unternehmen stagnierte oder war rückläufig. Der VCI warnte, dass die energieintensive Chemieindustrie besonders unter den hohen Preisen leide und fast eine halbe Million Menschen beschäftige, die nun die Last des ökonomischen Konflikts tragen müssten.

Der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber sagte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dass die deutsche Industrie monatlich über 10.000 Arbeitsstellen abbaut und warnte vor einer bevorstehenden “Arbeitslosenkrise”, die von “Existenzängsten” begleitet wird. Während Großkonzerne bisher nur Stellenstreichungen angekündigt hätten, erlebten viele kleine Betriebe bereits einen harten Abbau. Zudem gebe es kaum noch Unternehmensneugründungen.

Rückkehr zu russischem Gas?

Vor der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland Anfang 2022 bezog Deutschland über die Hälfte seiner Gasimporte direkt über Pipelines aus Russland. Als Reaktion darauf reduzierte die russische Regierung zunächst die Lieferungen. Im September 2022 wurden die Ostseepipelines durch einen Terroranschlag beschädigt, dessen Aufklärung im Westen anscheinend keine Priorität hat.

Ein Strang von Nord Stream 2 ist noch intakt, und sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft wird diskutiert, diesen wieder in Betrieb zu nehmen. Ebenfalls könnte die seit fast drei Jahren stillgelegte Jamal-Pipeline über Belarus und Polen wieder russisches Gas nach Deutschland transportieren.

Ein Schweizer Gericht hat kürzlich zum wiederholten Mal den Konkurs der Nord Stream 2 AG abgewendet und einen Aufschub für die mögliche Sanierung des Unternehmens gewährt. Es gibt zudem Pläne, die beschädigten Teile der Pipelines zu reparieren.

Anhaltende Preissteigerungen

Die Bundesregierung versucht, den Mangel durch den Zukauf von umweltschädlicherem Flüssigerdgas (LNG) hauptsächlich aus den USA auszugleichen, was die Energiepreise hat explodieren lassen. Inzwischen machen diese Importe etwa ein Zehntel der Energieeinfuhren aus. Der Großteil des übrigen über Pipelines gelieferten Gases kommt aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden – ironischerweise landet ein Großteil dieser Importe zuvor in verflüssigter Form aus Russland.

Deutsche Unternehmen zahlen für ihren Gasverbrauch Schätzungen zufolge etwa dreimal so viel wie ihre US-amerikanischen Pendants. Nach einer leichten Erholung der Gaspreise wird nun wieder “der höchste Stand seit 2023” verzeichnet. Dies spüren auch private Haushalte. Gemäß einer Analyse des Vergleichsportals Verifox müssen Neukunden heute 43 Prozent mehr für Lieferverträge zahlen als noch vor einem Jahr.

Mediengegner der Energiekooperation

Die zunehmenden Hilferufe aus der deutschen Wirtschaft werden von einigen Medienvertretern vehement negiert. “Finger weg von russischem Gas”, titelte beispielsweise eine Wirtschaftsredakteurin der Rheinischen Post sehr emotional in einem Kommentar.

Doch die realen geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Marktteilnehmer sind oft losgelöst von den emotionalen und ideologisch motivierten Darstellungen mancher Journalisten. Das primäre Interesse westlicher Unternehmen liegt auf Profit und strategischer Einflussnahme. Die Bedrohung durch aufstrebende Industrienationen im Osten wird ernst genommen, besonders im Silicon Valley. Es scheint, als feiern einige Tech-Milliardäre bereits einen möglichen wirtschaftlichen Erfolg im Kampf gegen ihre europäischen Verbündeten, unterstützt durch gewillte politische und mediale Akteure.

Weitere Informationen – Sollte die EU wieder russisches Gas bevorzugen, könnte dies für Überraschungen sorgen.

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