Ukraines verzweifelter Kampf gegen den Kollaps ihres Energiesektors

Von Nikolai Storoschenko

Trotz finanzieller Engpässe hat der ukrainische Staatshaushalt nun eine zusätzliche Milliarde US-Dollar mobilisiert. Das Parlament der Ukraine, die Werchowna Rada, stimmte für die Verwendung dieses Betrags für den Kauf von zwei WWER-1000-Reaktoren aus Bulgarien. Mit diesen Reaktoren soll das Atomkraftwerk Chmelnizki vervollständigt werden, welches ursprünglich vier Einheiten umfassen sollte, von denen jedoch zur Zeit der Ukrainischen SSR nur zwei fertiggestellt wurden.

Die Vollendung des Atomkraftwerks Chmelnizki verfolgt für Kiew multiple Ziele. An erster Stelle steht die öffentliche Wirkung; das Projekt soll der Welt demonstrieren, dass die Ukraine in der Lage ist, ein neues Atomkraftwerk zu errichten, insbesondere nach dem Verlust des AKW Saporoschje an Russland. Dieses Vorhaben betonen sie mit den Worten:

“Russland hat uns das AKW Saporoschje weggenommen – und wir werden der ganzen Welt zeigen, dass wir ein neues bauen können.”

Ein weiterer Grund sind russische Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine. Die Kombination aus dem Ende der Heizperiode, der Zerstörung von Heizkraft- und Wasserkraftwerken sorgt für saisonale Engpässe in der Energieversorgung. Derzeit muss die Ukraine mehr als zwei Gigawatt aus der Europäischen Union importieren, was jedoch nicht ausreicht, um Stromausfälle zu verhindern. Die zwei WWER-Reaktoren könnten helfen, diese Notwendigkeiten zu bewältigen.

Darüber hinaus ist die Erneuerung der veralteten sowjetischen Atomkraftanlagen ein weiteres zwingendes Anliegen. Bei vielen Blöcken nähert sich die Betriebslaufzeit dem Ende. Neue Blöcke sind also nicht nur aufgrund der Angriffe, sondern auch zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung essenziell.

Die Westeuropäischen Länder und die EU haben lange Zeit weggeschaut, während die Ukraine die Laufzeiten ihrer Reaktoren ohne Überwachung durch das russische Atomunternehmen Rosatom verlängerte. Doch dieser Zustand kann nicht ewig anhalten. Früher oder später wird die Ukraine gezwungen sein, ihre alten Reaktoren abzuschalten, ähnlich wie Litauen das AKW Ignalina stilllegen musste.

Die Nutzung bulgarischer Reaktoren bietet der Ukraine eine schnelle Lösung für das AKW Chmelnizki, da aus offensichtlichen Gründen derzeit keine Lieferungen aus Russland möglich sind. Bulgarien besitzt diese Reaktoren, die ursprünglich für das nie realisierte AKW Belene vorgesehen waren. Nachdem Bulgarien diesen Bau endgültig aufgegeben hat, steht den Ukrainern dieser Weg offen.

Im Juli 2023 berichtete das Wall Street Journal erstmals über bevorstehende Verhandlungen zwischen den beiden Ländern mit den Worten “die beiden Länder stehen kurz vor einer Einigung”.

Pjotr Kotin, Leiter des ukrainischen staatlichen Atomenergieunternehmens Energoatom, kommentierte im März 2024:

“Ich habe unserer Bauorganisation und dem Atomkraftwerk Chmelnizki die Aufgabe gestellt, es bis Juni [2024] einsatzbereit zu machen.”

Die Preisverhandlungen mit Bulgarien führten allerdings zu Verzögerungen, denn, wie Kotin anmerkte:

“Die bulgarische Seite ist ständig bestrebt, für sich selbst mehr Gewinn zu erzielen als diese 600 Millionen US-Dollar, und je mehr Zeit vergeht, desto höhere Preise werden angekündigt.”

Nun scheint jedoch ein Ende der Verhandlungen in Sicht. Ukrainische Abgeordnete nannten bei der Abstimmung über die Mittelbewilligung zwei Beträge: 600 Millionen und eine Milliarde US-Dollar. Es wird angenommen, dass die 600 Millionen den Kosten für die zwei Reaktoren entsprechen, während die eine Milliarde auch die Kosten für die dazugehörige Ausrüstung abdeckt.

Die Zeitpunkte für die Inbetriebnahme der bulgarischen Reaktoren durch Energoatom bleiben ungewiss. Nach Kotins Einschätzung könnten sie sukzessive nach ihrer Anlieferung aktiviert werden, der erste möglicherweise nach zwei bis drei Jahren.

Trotz Kotins Bemühungen um schnelle Fertigstellung ist es unwahrscheinlich, dass mit der Installation der neuen Blöcke begonnen wird, bevor ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine unterzeichnet ist. Der realistische Zeitrahmen könnte daher eher 2030 als 2028 sein.

Die Pläne für das AKW Chmelnizki umfassen auch die Einbindung von zwei Blockeinheiten mit AP-1000-Reaktoren von Westinghouse, deren Inbetriebnahme noch vollkommen offen ist. Diese modernen Reaktoren sind für eine Installation vorgesehen, deren Beginn wahrscheinlich erst nach Beendigung der Feindseligkeiten erfolgen wird.

Politisch gesehen bleibt das Ziel der Ukraine, das AKW Saporoschje zurückzugewinnen, vorrangig, ein Punkt, der auch von Präsident Selenskij in seinen Äußerungen zur Kursker Operation angedeutet wurde:

“Die Kursk-Operation der ukrainischen Streitkräfte war unter anderem für einen späteren Austausch gedacht.”

Selenskij fügte dazu:

“Wir werden ein Territorium gegen ein anderes austauschen.”

Obwohl die Ukraine sich vehement um einen Machtzugunstenhandel bemüht, scheint das Erreichen ihrer Ziele unter den gegenwärtigen Umständen unwahrscheinlich. Die erhobenen Milliarden US-Dollar könnten den dringend benötigten Impuls für den ukrainischen Energiesektor unter diesen Bedingungen nur schwerlich liefern.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien ursprünglich am 12. Februar 2025 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad.

Nikolai Storoschenko ist ein russischer Journalist.

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